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Der Weg zurück

Der Weg zurück

Titel: Der Weg zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E.M. Remarque
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gegenüber die Reklamebilder für Seifenpulver, denen Karl Vogt und ich bei sonnigem Wetter mit Uhrgläsern die Augen ausbrannten. Ich spähe durch das Schaufenster – die Brandflecke sind sogar noch zu sehen. Aber dazwischen liegt der Krieg, und Karl Vogt ist längst am Kemmel gefallen.
    Ich begreife nicht, weshalb ich hier stehe und nicht mehr dasselbe empfinde wie damals in den Trichtern und Baracken. Wo ist die Fülle geblieben, das Bebende, Helle, der Glanz, das Unnennbare? War meine Erinnerung denn lebendiger als die Wirklichkeit? Ist sie zur Wirklichkeit geworden, während diese sich zurückzog und zusammenschrumpfte, bis nichts mehr von ihr blieb als ein kahles Gerüst, an dem einmal bunte Fahnen geflattert haben? Hat sie sich von ihr abgelöst und schwebt nun nur noch wie eine schwermütige Wolke darüber? Haben die Jahre draußen die Brücke zum Früher verbrannt?
    Fragen, Fragen – aber keine Antwort! –
IV
    Die Verfügungen für den Schulbesuch der Kriegsteilnehmer sind da. Unsere Vertreter haben erreicht, was wir wollten: Abgekürzte Schulzeit, Sonderkurse für die Soldaten und Erleichterung des Examens.
    Es war nicht leicht, das durchzusetzen, obschon doch Revolution ist – denn dieser ganze Umsturz ist nur ein bisschen Windgekräusel an der Oberfläche. Er greift nicht durch. Was nützt es schon, wenn ein paar Spitzenposten anders besetzt werden – jeder Soldat weiß, dass ein Kompanieführer die besten Absichten haben kann –, wenn die Unteroffiziere nicht wollen, ist er trotzdem ohnmächtig. Ebenso muss der fortschrittlichste Minister immer scheitern, wenn er einen reaktionären Block von Geheimräten gegen sich hat. Und die Geheimräte sind in Deutschland auf ihren Posten geblieben. Diese Büronapoleons sind unverwüstlich.
    Die erste Unterrichtsstunde. Wir hocken in den Bänken. Fast alle in Uniform. Drei mit Vollbärten. Einer verheiratet.
    Ich entdecke an meinem Platz eine Schnitzerei mit meinem Namen, sauber mit dem Taschenmesser gearbeitet und mit Tinte ausgemalt. Ich erinnere mich noch, dass ich diese Leistung in der Geschichtsstunde vollbracht habe; dennoch meine ich, es sei vor hundert Jahren gewesen, so ein sonderbares Gefühl ist es, hier zu sitzen. Der Krieg wird dadurch zur Vergangenheit, und der Kreis schließt sich erneut. Aber wir sind nicht mehr darin.
    Unser Deutschlehrer Hollermann kommt und erledigt zunächst das Notwendigste; er gibt uns die Dinge zurück, die von früher hier von uns noch lagern. Das lastete wohl schon lange auf seiner ordentlichen Schulmeisterseele. Er schließt den Klassenschrank auf und nimmt die Sachen heraus; Zeichenständer, Reißbretter, und vor allem die dicken blauen Packen der Hefte – Aufsätze, Diktate, Klassenarbeiten. Ein hoher Stapel sammelt sich links neben ihm auf dem Katheder. Die Namen werden aufgerufen, wir melden uns und nehmen die Hefte in Empfang. Willy wirft sie herüber, dass die Löschblätter fliegen.
    »Breyer!« – »Hier!«
    »Brücker!« – »Hier!«
    »Detlefs!« –
    Schweigen. »Tot!«, ruft Willy.
    Detlefs, klein, blond, krumme Beine, einmal sitzen geblieben. Gefreiter, gefallen 1917 am Kemmelberg.
    Das Heft wandert auf die rechte Seite des Katheders.
    »Dirker!« – »Hier!«
    »Dierksmann!« – »Tot!«
    Dierksmann, Bauernsohn, großer Skatspieler, schlechter Sänger, gefallen bei Ypern. Das Heft geht nach rechts.
    »Eggers!« –
    »Noch nicht da«, ruft Willy. Ludwig ergänzt: »Lungenschuss, liegt im Reservelazarett Dortmund, kommt von da drei Monate nach Lippspringe.«
    »Friederichs!« – »Hier!«
    »Giesecke!« – »Vermisst!«
    »Stimmt nicht«, erklärt Westerholt.
    »Er ist doch vermisst gemeldet«, sagt Reinersmann.
    »Richtig«, gibt Westerholt zurück, »aber er ist seit drei Wochen hier in der Irrenanstalt. Ich habe ihn selbst gesehen.«
    »Gehring I!« – »Tot!«
    Gehring I; Primus, schrieb Gedichte, gab Privatstunden, kaufte für das Geld Bücher. Gefallen bei Soissons, zusammen mit seinem Bruder.
    »Gehring II «, murmelt der Deutschlehrer nur und legt das Heft von selbst zu den andern nach rechts.
    »Schrieb wirklich gute Aufsätze«, sagt er nachdenklich und blättert noch einmal das Heft von Gehring I durch.
    Noch manches Heft geht nach rechts, und als alle aufgerufen sind, liegt ein dicker Packen zurückgebliebener Arbeiten da. Unschlüssig sieht Oberlehrer Hollermann ihn an. Sein Ordnungsgefühl rebelliert wohl, denn er weiß nicht, was er damit anfangen soll. Schließlich findet er einen

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