Der Weg zurück
kann, haben wir doch oft genug gesehen. Da musst du schon zehn, zwölfe haben, damit immer noch welche bleiben, wenn die andern eins vor den Schädel kriegen.«
Albert betrachtet aufmerksam die Silhouette des Doms. »So meine ich das nicht«, sagt er. »Ich meine: einen Menschen, der richtig zu einem gehört. Manchmal denke ich: eine Frau. –«
»Großer Gott«, rufe ich, denn ich muss an Bethke denken.
»Quatsch nicht«, fährt Albert mich plötzlich an, »man muss doch etwas haben, woran man sich halten kann, verstehst du denn das nicht? Ich will, dass mich jemand lieb hat, dann hält er mich, und ich halte ihn! Sonst kann man sich ja aufhängen!« Er zittert und dreht mir den Rücken zu.
»Aber Albert«, sage ich leise, »hast du denn nicht uns?«
»Ja, ja, aber das ist doch ganz was anderes –«, und nach einer Weile flüstert er: »Kinder müsste man haben – Kinder, die von nichts etwas wissen. –«
Ich verstehe nicht genau, was er meint. Aber ich mag ihn auch nicht mehr fragen.
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Vierter Teil
Wir haben uns alles anders vorgestellt. Wir haben geglaubt, mit gewaltigem Akkord würde ein starkes intensives Dasein einsetzen, eine volle Heiterkeit des wiedergewonnenen Lebens: so wollten wir beginnen. Aber die Tage und Wochen zerflattern unter unseren Händen, wir verbringen sie mit belanglosen, oberflächlichen Dingen, und wenn wir uns umsehen, ist nichts getan. Wir waren gewohnt, kurzfristig zu denken und zu handeln – eine Minute später konnte immer alles aus sein. Deshalb geht uns jetzt das Dasein zu langsam, wir springen es an, aber ehe es zu sprechen und zu klingen beginnt, haben wir schon wieder davon abgelassen. Wir hatten zu lange den Tod als Genossen; der war ein schneller Spieler, und es ging jede Sekunde um den höchsten Einsatz. Das hat uns etwas Sprunghaftes, Hastiges, auf den Augenblick Bedachtes gegeben, das uns jetzt leer macht, weil es hierher nicht mehr passt. Und diese Leere macht uns unruhig, denn wir fühlen, dass man uns nicht versteht und dass selbst Liebe uns nicht helfen kann. Es klafft eine unüberbrückbare Kluft zwischen Soldaten und Nichtsoldaten. Wir müssen uns selber helfen.
Doch in unsere unruhigen Tage grollt und murrt oft sonderbar noch etwas anderes hinein – wie fernes Dröhnen von Geschützen – wie eine dumpfe Mahnung hinter dem Horizont, die wir nicht zu deuten wissen, die wir nicht hören wollen, von der wir uns abwenden, immer in der seltsamen Furcht, etwas zu versäumen – als liefe uns etwas davon. Zu oft schon lief uns etwas davon – und manchem nichts Geringeres als das Leben. –
I
In Karl Brögers Bude sieht es bunt aus. Alle Bücherregale sind ausgeräumt. Ganze Stöße von Bänden liegen auf den Tischen und auf dem Fußboden umher.
Karl war früher ein Büchernarr. Er sammelte Bücher, wie wir Schmetterlinge und Briefmarken. Eine besondere Vorliebe hatte er für Eichendorff. Davon hat er drei verschiedene Ausgaben. Er konnte auch viele seiner Gedichte auswendig. Aber jetzt will er die Bibliothek verkaufen, um Anfangskapital für einen eigenen Schnapshandel zu bekommen. Er behauptet, dass mit solchen Sachen viel Geld zu verdienen sei. Bisher war er nur Agent Ledderhoses; doch jetzt will er sich auf eigene Füße stellen.
Ich blättere im ersten Band einer Eichendorffausgabe, die in ganz weiches, blaues Leder gebunden ist. Abendrot, Wälder und Träume – Sommernächte, Sehnsucht und Heimweh – welch eine Zeit war das!
Willy hat den zweiten Band in der Hand. Nachdenklich betrachtet er ihn. »Du müsstest sie einem Schuhmacher anbieten«, schlägt er vor.
»Wieso?«, fragt Ludwig lächelnd.
»Das Leder«, antwortet Willy, »die Schuhmacher haben doch überhaupt kein Leder mehr. Hier –«, er nimmt Goethes Werke auf, »zwanzig Bände –, das gibt mindestens sechs Paar tadellose Lederschuhe. Die Schuhmacher geben dir bestimmt mehr dafür als die Buchhändler. Die sind ja ganz wild auf echtes Leder!«
»Wollt ihr was davon haben?«, fragt Karl. »Ihr kriegt Vorzugspreise.« Aber keiner will etwas haben.
»überleg’s dir noch mal«, sagt Ludwig, »später ist es schwer, sie wiederzukaufen.«
»Nicht so wichtig«, lacht Karl, »erst mal leben, das ist besser als lesen. Auf mein Examen pfeife ich auch. Das ist alles Quatsch! Morgen geht’s los mit den Schnapsproben. Zehn Mark Verdienst an einer Flasche geschmuggeltem cognac, das zieht hin, mein Lieber! Geld ist das Einzige, was du brauchst, dann kannst du alles haben.«
Er bündelt
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