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Der Weihnachtspullover

Der Weihnachtspullover

Titel: Der Weihnachtspullover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Beck
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Seite wurde inzwischen von Großmutters Handarbeitszubehör eingenommen – sie war ständig mit Stricken oder dem Wattieren von Steppdecken oder sonstigen Näharbeiten beschäftigt. Ich wohnte jetzt in ihrem alten Nähzimmer. Als ich eingezogen war, hatte Großvater ihr ganzes Zeug in seine Werkstatt geschafft.
    Die rechte Hälfte der Scheune gehörte immer noch ihm. Die Grenze zwischen Ordentlichkeit und Durcheinander trennte die beiden Seiten ebenso gut wie eine Wand. Er führte mich in die hintere Ecke der Scheune und zog ein altes Laken zur Seite, unter dem sich, wie mir schien, ein Haufen Holzreste befand.
    »Was machen wir denn, Grandpa?«
    »Wir basteln ein Weihnachtsgeschenk für deine Großmutter«, antwortete er. »Natürlich ist es ein Geheimnis «, fügte er zum Schein mit warnender Stimme hinzu.
    Ich hatte ganz vergessen, dass in gut vier Wochen Weihnachten war. Ich konnte es gar nicht glauben, dass sich das Fest auf diese Weise an mich herangeschlichen hatte. Aber das lag wahrscheinlich daran, dass wir bisher einen ungewöhnlich warmen Winter gehabt hatten. Als ich heranwuchs, war ich neidisch auf meine Großeltern gewesen, weil sie immer so viel mehr Schnee hatten als wir. Obwohl sie gar nicht so weit weg von uns wohnten, schien die Regen-Schnee-Grenze auf der Karte des Wetteransagers immer genau zwischen uns zu verlaufen. Es hatte jede Menge Stürme gegeben, bei denen wir unter Überschwemmungen gelitten hatten, während bei ihnen die Schneeverwehungen bis hoch auf ihre Veranda reichten.
    Ich hatte mir hin und wieder vorgestellt, von zu Hause wegzulaufen und bei ihnen einzuziehen, bloß um öfter kältefrei zu haben und nicht in die Schule gehen zu müssen. Dann wären Großvater und ich früh aufgestanden, hätten ein Schnee-Fort im Vorgarten gebaut und den ganzen Tag über Kakao getrunken. Großvater wäre bestimmt nicht auf die Idee gekommen, von mir zu verlangen, dass ich meine Brottüten-Stiefel trage. Es hatte sich angefühlt wie ein schöner Traum.
    Aber jetzt, wo dieser »Traum« wahr geworden war, begriff ich, wie sehr ich mich getäuscht hatte. Zwar gab es keine Brottüten-Stiefel, aber leider auch keinen Schnee.
    Nicht einen einzigen Zentimeter. Das ganze Jahr schon nicht. Taylors Worte kamen mir in den Sinn. Es ist nicht immer alles so, wie es scheint.
    Großvater reichte mir etwas Schmirgelpapier und deutete auf einen Stapel sorgfältig zugesägter Holzstücke, die auf dem Boden und auf seinem Arbeitstisch lagen. »Die hier müssen so glatt werden wie ein Flusskiesel. Fang mit dem groben Papier an und arbeite dich bis zu dem feinen schwarzen durch. Ich muss noch einige Stücke sägen.«
    Also, dazu hatte ich nun wirklich überhaupt keine Lust. »Was basteln wir denn?«, fragte ich, in der Hoffnung, mir eine Abkürzung auszudenken, in der kein Schmirgelpapier vorkam.
    »Ich glaube, das Ganze wird mehr Spaß machen, wenn ich es dir nicht verrate«, erwiderte Großvater. »Vielleicht kommst du ja darauf, wenn wir anfangen, die Teile zusammenzusetzen.« Er verhielt sich geheimnistuerisch, was wahrscheinlich daran lag, dass er den Grund für meine Frage kannte.
    »Wieso kaufst du ihr denn nicht einfach etwas?«, schlug ich ihm vor. »Sie hätte bestimmt lieber etwas aus einem Geschäft.«
    Mein Großvater sah mich an, als hätte er mich noch niemals zuvor gesehen. »Nein, das hätte sie ganz bestimmt nicht. Außerdem macht es einen selbst glücklicher, wenn man sein Augenmerk darauf richtet, andereMenschen glücklich zu machen.« Das waren die Worte meiner Mutter, gesprochen mit der Stimme meines Großvaters.
    Er ließ mich allein auf meinem Hocker zurück. Ich schmirgelte eine Weile vor mich hin, hörte aber damit auf, als ich Krämpfe in den Händen bekam. Aus mir würde nie ein richtiger Handwerker werden, so viel war klar. Die beständigen Geräusche, die aus der anderen Ecke der Scheune zu mir herüberdrangen, sagten mir, dass Großvater beschäftigt war und nicht so bald nach mir sehen würde, und daher begab ich mich auf Erkundungstour. Taylor und ich hatten uns schon zweimal in die Scheune geschlichen, aber ich hatte immer Angst gehabt, dass mein Großvater irgendwie herausfinden würde, dass wir hier gewesen waren. Es war der einzige Ort auf der ganzen Farm, den ich nicht allein betreten durfte.
    Ich wechselte hinüber zu der ordentlichen Seite und begann die Dinge meiner Großmutter durchzusehen. Da lagen Trockenblumen auf einem Werktisch, an dem sie offenbar ihre Pflanzen umtopfte,

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