Der Weihnachtspullover
bin Eddie.« Während Russell die Geduld in Person zu sein schien, hatte ich offenbar überhaupt keine Veranlagung in dieser Hinsicht.
»So meine ich es nicht. Bestimmt weißt du das schon längst, Eddie«, streichelte Russell mein Ego, »aber es gibt nur wenige Menschen, die so sind wie du. Die meisten wissen nicht, was sie aus ihrem Leben machen wollen, wo sie einmal wohnen werden oder auch nur, was der nächste Tag für sie bereithält. Sie machen einfach weiter und hoffen, dass sie durch den nächsten Umzug oder den nächsten Job oder auch den nächsten Tag glücklich werden. Aber ein Junge wie du hat es begriffen. Deshalb hast du auch solch große Pläne schmieden können.«
Ich verstand nicht ganz, warum er mir so viele Komplimente machte, aber es gefiel mir. »Und ob ich das habe. Mein Plan steht fest.«
»Schön für dich. Weißt du, Eddie, die Menschen sind dazu bestimmt, glücklich zu sein, aber manchmal ist das schwer, wenn man erst einmal zugelassen hat, dass man sich in jemanden verwandelt, der man eigentlich gar nicht ist.«
Jetzt endlich begann ich zu begreifen, was er meinte. »Ja, mein Großvater ist so. Er ist so damit beschäftigt, sich einzureden, dass er glücklich ist, dass er nicht einmal bemerkt, wie viele Dinge ihm eigentlich fehlen.«
»Wirklich?«, erwiderte Russell. Er schien tatsächlich interessiert zu sein.
»Ja. Ich fand ihn früher mal toll und echt witzig, aber jetzt weiß ich, dass er bloß ein alter Mann ist, der sich vormacht, erfolgreich zu sein. Er vermag nicht einmal einzusehen, dass man sein Glück niemals auf einer Straße voller Farmer und einfältiger Leute finden kann. Er könnte so viel mehr haben als eine blöde kleine Beerenfarm. Da draußen existiert eine ganze Welt, aber er sitzt hier fest mit einem Haufen anderer aussichtsloser Fälle, seinen ganzen Erinnerungen und altmodischen Ansichten.«
Die Art und Weise, wie Russell mir zuhörte, sagte mir, dass er genau erfasste, wovon ich da sprach. Ich kam mir sehr schlau vor, als ich ihm zeigte, wie viel ich wusste, und ihm Dinge erzählte, die meine Großeltern niemals verstehen würden. Ich war überrascht, dass jemand, der aussah wie Russell, es »kapierte«, aber so war es.
»Auweia! Also, diese Sache mit deinen Großeltern tut mir leid«, erwiderte Russell mitfühlend. »Es ist wirklich schade, dass sie nicht in der Lage sind, etwas von jemandem wie dir zu lernen, jemandem, der weiß, was er will, und der loszieht, um es sich zu holen. Und du weißt, dass du erfolgreich sein wirst, weil du begreifst, dass dich das ›Wer‹ immer zum Glück führen wird. Danach folgen das ›Was‹ und das ›Wohin‹ ganz automatisch. Wenn sich deine Großeltern doch nur darüber klar werden würden, dann könnten sie so glücklich sein wie du. Vielleicht könnten sie sogar so erfolgreich werden, wie du es einmal sein wirst.«
Russell hielt für einen Moment inne und wandte sich dem Pferd zu. »Das alte Mädchen hier wird sich das alles natürlich auch zusammenreimen, sobald ich ihm in Erinnerung gerufen habe, dass es geliebt wird.«
Ich ignorierte das Pferd. »Ich bin mehr als glücklich«, betonte ich, denn ich sah mich veranlasst, eine bereits ausgesprochene Tatsache zu bekräftigen. »Und meine Großeltern erzählen mir ständig, dass sie mich lieben.«
»Da bin ich mir sicher. Ich wusste allerdings nicht, dass wir dabei auch über dich reden.«
»Tun wir gar nicht. Ich wollte es nur einmal ansprechen.«
»Oh. Natürlich. Weißt du, Eddie, du scheinst ein kluger Junge zu sein, und ich würde dich gern einmal um deinen Rat bitten.«
»In Ordnung.« Ich ließ mir nichts anmerken, aber ich freute mich, dass Russell eine so hohe Meinung von mir hatte.
»Nun ja, ich habe es weit gebracht mit diesem Pferd, aber es vertraut mir immer noch nicht ganz.« Er zog ein weiteres Apfelstück aus seiner Tasche und hielt es der Stute unter die Nase. Die zuckte erschrocken mit dem Kopf zurück. Russell hielt seine Hand mit dem Apfel ausgestreckt und wartete, bis sich das Tier wieder vorsichtig genähert hatte, langsam den Kopf vorstreckte und das Apfelstück ins Maul nahm.
»Ich habe dir ja erzählt, dass sie einige schlimme Erfahrungen gemacht hat«, sagte Russell, »aber es steckt noch mehr dahinter.
Sie ist nach ihrer Geburt mit vielen anderen Pferden auf einer Farm aufgewachsen, die dann aber verkauft wurde, und die neuen Besitzer waren so gut wie gar nicht dort.« Russell drehte sich wieder zu mir um. Er war beinahe ein so
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