Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Weihnachtspullover

Der Weihnachtspullover

Titel: Der Weihnachtspullover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glenn Beck
Vom Netzwerk:
und entlang einer Wand war so etwas wie ein Nähmaschinenmuseum. Es gab eine alte Singer, die nur mit einem Fußpedal angetrieben wurde, das über einen Ledergurt mit einem großen Metallrad verbunden war. Ich war so fasziniert von dem Mechanismus, dass ich gar nicht bemerkt hatte, wie still es in der Werkstatt geworden war.
    Neben den alten Nähmaschinen befand sich eine Reihe von Regalen, die mein Großvater offenbar selbst gezimmert hatte. Sie waren voller Stoffe und halbfertiger Steppdecken, ganzer Ballen mit Pyjama-und Hemdstoffen, dazu Wolle und Stricknadeln. Ein bestimmter Wollrest weckte meine Aufmerksamkeit, und ich griff danach. Als ich den Faden, der sich rau und weich zugleich anfühlte, durch meine Finger gleiten ließ, kam mein Großvater zu mir herüber und blieb neben mir stehen.
    »Einige dieser Sachen gehörten deiner Mutter. Sie hat seit ihrem achten Lebensjahr gestrickt. Es sah so lustig aus. Die Nadeln waren beinahe so lang wie ihre Arme.«
    Während er sprach, erinnerte ich mich daran, wie Mom jeden Abend direkt vor meiner Nase an dem Weihnachtspullover gestrickt hatte. Ich blickte mit trockenen Augen zu ihm auf. »Ich bin nicht sehr gut im Schmirgeln.«
    »Das ist schon in Ordnung, Eddie. Es gibt einige Dinge, in denen ich auch nicht gut bin. Beispielsweise bin ich ziemlich eingerostet, wenn es darum geht, Kinder großzuziehen. Deine Großmutter hat die meiste Arbeit bei deiner Mutter geleistet. Als du zur Welt kamst, da dachte ich, dass es Spaß machen würde und leicht wäre, einen Enkelsohn zu haben. Und ich hatte recht ... zumindest für eine Weile.«
    Erinnerungen an Angelausflüge und Eiswaffeln und manipulierte Kartenspiele schossen mir durch den Kopf.All diese Dinge, die immer so viel Spaß gemacht hatten, lagen schon so lange zurück.
    Aber jetzt war nun einmal alles anders.
    Großvater hielt inne, als versuche er sich zu sammeln. Als er weiterredete, war seine Stimme leiser und klang irgendwie unsicher. »Du und ich, wir sind uns sehr ähnlich, mein Junge. Wir sind dickköpfig. Wir wollen den Leuten immer beweisen, dass sie unrecht haben, dass wir niemanden brauchen und mit allem allein zurechtkommen. Nun, du sollst wissen, wie gründlich ich mich geirrt habe. Ich habe versucht, dir eine Lektion zu erteilen, und stattdessen habe ich das Offensichtliche übersehen: Deine Mutter war an jenem Abend zu müde, um zu fahren. Ich habe einen Fehler begangen, und das werde ich nun bis zu meinem Tod bereuen.«
    Ich hätte die Wolle am liebsten fallen gelassen und die Arme um Großvater gelegt. Ich wünschte mir so sehr, dass alles wieder so werden würde, wie es einmal gewesen war. Ich dachte über das nach, was Russell mir gesagt hatte. Ob Großvater überhaupt wusste, wer er wirklich war? War er tatsächlich glücklich? Oder fühlte er sich möglicherweise ebenso einsam und verlassen wie ich?
    Doch bevor ich irgendetwas sagen konnte, fuhr Großvater fort. »Manchmal sind unsere Stärken auch zugleich unsere Schwächen. Manchmal muss man erst schwachsein, um stark zu werden. Du musst deine Last mit jemandem teilen. Du musst dich auf andere stützen, während du dich deinen Problemen und dir selbst stellst. Das ist nicht leicht, aber deine Familie ist für dich da, um dir Schutz vor den Stürmen zu gewähren, die in jedermanns Leben vorkommen.«
    Die Wolle fühlte sich in meinen Händen plötzlich lebendig an. Ich stellte mir vor, wie Mom mit meinem Pullover fertig wurde, wie sie den Rest des Fadens mit den Zähnen durchbiss. Sie musste so unglaublich stolz gewesen sein. Dann sah ich meine Mutter vor mir, wie sie auf eben diesen Pullover hinabschaute, der zu einem Ball zusammengeknüllt auf dem Boden meines Zimmers lag. Der Gedanke daran ließ ungute Emotionen in mir aufsteigen. Ich konzentrierte mich stattdessen auf meinen Großvater.
    Und stieß ihn erneut von mir weg.
    »Ich will keine Hilfe«, fauchte ich. »Jeder, den ich jemals geliebt habe, ist mir genommen worden. Das werde ich nicht noch einmal zulassen. Ich brauche niemanden . Ich weiß, wer ich bin. Ich bin nicht wie du und werde es auch niemals sein. Ich werde mal reich. Ich werde kein Mann sein, der der Frau, die er angeblich liebt, irgendeinen selbstgebastelten Ramsch schenkt – ich werde ihr ein richtiges Geschenk kaufen. Und meine Kinder werden alles haben, was sie brauchen.«
    Ich warf die Wolle zu Boden, als wäre es eine Schlange, und wandte mich ab, um davonzulaufen, doch mein Großvater trat mir in den Weg und hielt mich

Weitere Kostenlose Bücher