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Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition)

Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition)

Titel: Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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waren. Wir fanden ihre Leiche. Jemand – ich glaube, es war Frazer – gab jedem von uns ein Büschel ihres Haars. Er sagte uns, wir sollten die Haare zählen und schwören, dass wir für jedes Haar einen Aufständischen töten. Ingalls konnte das nicht. Er versuchte …«
    Narraway saß völlig erstarrt da und nahm seine Umgebung nicht mehr wahr: den Nachtwind in den Tamarinden, die Staubteufel, die auf dem trockenen Boden wirbelten, das Sternenlicht.
    Carpenter bewegte sich, suchte eine andere Stellung. »Was ist nur aus uns geworden, Sir. Ingalls begreift die Welt nicht mehr. Immer wieder fragt er, was um Himmels willen wir hier überhaupt zu suchen haben, einmal abgesehen davon, dass wir die Inder zu Christen erziehen wollen. Aber was tun wir selbst? Und wissen Sie was, Sir? Ich kann ihm keine Antwort geben. Ich weiß nicht, was man tun kann! Um Ihnen die Wahrheit zu sagen, Sir, ich wünschte, Tallis wäre bei ihm gewesen. Er wusste, was er ihm sagen konnte, weil er sich über alles lustig machte und nicht erst versuchte, das Richtige zu tun, außer … freundlich zu ihm zu sein.«
    Narraway saß sprachlos da und rührte sich nicht. Er wollte Tallis unbedingt retten. Es war wie ein körperlicher Schmerz in ihm, ein Gefühl, als ob ihm etwas Wichtiges zum Überleben fehlen und die innere Leere ihn auffressen würde.
    »Tallis hat nie jemandem gesagt, dass er weiterleben würde, wenn klar war, dass er sterben müsste – nicht einmal da lügt er«, fuhr Carpenter fort. In der Dunkelheit und im Rascheln der Tamarinden im Wind hörte sich seine Stimme fast körperlos an. »Er scheint an nichts zu glauben. Darüber hat er nie gesprochen. Aber wenn man wahnsinnig Angst hatte oder so betrunken war, dass man nicht mehr stehen konnte und alle möglichen Dinge sah, die gar nicht da waren, und wenn man wie ein Idiot wegrannte oder mit angezogenen Knien heulend in einer Ecke saß, ja dann hat er immer noch wie ein Mann mit einem gesprochen, hat einem das Gefühl gegeben, dass man noch etwas wert war.«
    »Wie lange sind Sie bei Ingalls geblieben?«
    »Ich weiß es nicht mehr. So lange, bis er sich beruhigt hatte und ich sicher sein konnte, dass er seinen Rausch ausschlafen und sich nicht die Kehle durchschneiden würde. Ich konnte ja nicht alle Messer verstecken, oder?« Er lachte kurz auf. »Tallis hat das einmal gesagt: ›Verstecken wir alle Messer und Schusswaffen, damit sich niemand umbringt. Außerdem könnte man sich dann auch nicht gegenseitig töten. Na ja, es gibt da wohl keine perfekte Lösung.‹ Und dann hat er so irre gelacht, wie er das öfters tat.« Er stieß einen langen Seufzer aus. »Aber das hilft jetzt auch nichts mehr, oder? Ich hätte auf mein Leben geschworen, dass er keiner Fliege etwas zuleide tun könnte, aber vielleicht ist er verrückt geworden und hat es doch getan. Reilly war da, und Scott hat nur gelogen, um mich zu decken. Und ich habe gelogen, um Ingalls zu schützen. Aber das ändert alles nichts an der Tatsache, dass nur Tallis hineingehen konnte, weil er immer noch der Einzige ist, der die Möglichkeit dazu hatte.«
    Er drehte sich zu Narraway um und setzte sich aufrecht hin. »Schade, dass sie nicht Ingalls an Tallis’ Stelle aufhängen können. Ihm käme das nur recht. Er wäre dann von seinem Elend befreit. Dieser Satz hätte von Tallis stammen können, und dann hätte er gelacht. Allerdings ist das gar nicht lustig, weil es die Wahrheit ist. Ich kann Ihnen nicht weiterhelfen, Sir. Das können Sie mir glauben, weil ich es sonst bestimmt schon getan hätte.«
    »Es tut mir leid, dass ich Sie geweckt habe«, sagte Narraway leise. »Ich dachte einen Augenblick lang, dass ich etwas herausfinden könnte. Legen Sie sich wieder hin. Vielleicht können Sie ja schlafen. Irgendwann müssen Sie das ja mal.«
    Carpenter rührte sich eine Weile nicht. Dann, endlich, stand er mit steifen Knochen auf.
    »Es tut mir leid, Sir«, sagte er noch einmal. Bevor Narraway ihm antworten konnte, war er auch schon in der Dunkelheit verschwunden.
    Narraway saß noch etwas länger auf dem unbequemen Trümmerhaufen, stand dann auf und ging im kalten, stärker werdenden Wind langsam durch die Nacht zu seiner Unterkunft, für ein paar Stunden des Vergessens, bevor die Schlacht begann.
    Am nächsten Morgen war es windstill und kalt. In Kanpur hatte es noch nie geschneit, aber man merkte, dass der kürzeste Tag im Jahr nahte, auf den Weihnachten bald folgen würde.
    Der kleine Raum war trostlos. Alle sahen sie aus,

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