Der Weihnachtsverrat: Roman (German Edition)
Totenschein ausstellt. Oder haben Sie es etwa aufgegeben, meine Unschuld zu beweisen, und wollen mich jetzt schon als Toten hinausschmuggeln und dann behaupten, dass ich geflüchtet sei? Dumm, aber ich mag Menschen, die nicht merken, wann sie geschlagen sind.« Er salutierte spöttisch.
Narraway bemerkte durchaus die Schärfe in seiner Stimme, die Angst unter der Oberfläche. »Mein Vorschlag war eigentlich, dass er Ihnen etwas verabreichen könnte, damit Sie nicht so schlecht aussehen, auch wenn Sie das selbst gar nicht merken.« Auch er bemühte sich zu lächeln. »Ich habe vor, meine Verteidigung zu Ende zu führen, egal, ob das einen Sinn ergibt oder nicht. Es ist eine Sache, geschlagen zu sein aufzugeben ist eine ganz andere.«
»Das wird Ihrer Karriere nicht gerade zuträglich sein«, stellte Tallis fest.
»Setzen Sie sich, bevor Sie mir hier umfallen. Ich werde Ihre Aussagen morgen brauchen.«
»Was könnte das jetzt noch ändern? Im Zivilleben würde man es sich zweimal überlegen, einen kranken Mann zu hängen, aber in der Armee ist das völlig egal. Arme und Beine können dir fehlen, du kannst ohnmächtig sein, aber es gibt immer noch so einen hilfsbereiten Schweinehund, der dich festhält, damit sie dir die Schlinge um den Hals legen können.«
»Na, vielen Dank«, erwiderte Narraway ironisch. »Sollte ich jemals in der Heimat vor Gericht stehen, werde ich dafür sorgen, dass ich dann gerade krank bin. Bitte setzen Sie sich jetzt hin, versuchen Sie, sich zu konzentrieren.«
Tallis setzte sich beziehungsweise er verlor fast das Gleichgewicht, weil er vergessen hatte, dass es gar keinen Stuhl gab, nur die Matratze auf dem Boden. Als er zu Narraway aufblickte, flackerte ein Hoffnungsschimmer in seinen Augen auf, den er zugleich zu verbergen suchte.
»Haben Sie Chuttur Singh getötet?«
»Nein.«
»Was wissen Sie über Dhuleep? Und sagen Sie mit jetzt bloß nicht ›nichts‹. Sie haben das halbe Regiment behandelt. Sie müssen mir unbedingt alles, wirklich alles sagen, was Sie über ihn wissen, egal, ob Sie es für wichtig halten oder nicht. Es spielt keine Rolle, ob es sich um etwas Militärisches, Persönliches oder Medizinisches handelt. Nicht nur Ihr Leben hängt davon ab, es geht auch darum herauszufinden, wer Chuttur Singh getötet hat, wenn Sie es nicht waren. Es geht darum, so weit wie möglich die Ehre des Regiments zu retten.«
Tallis war erstaunt. Er brach in ein Lachen aus, das er allerdings sofort wieder unterdrückte.
»Nein«, krächzte er. »So edel bin ich nicht, dass ich dafür am Seil baumeln wollte für ein Verbrechen, das ich nicht begangen habe, sollten Sie das meinen. Ich will nicht hingerichtet werden und als Verräter in die Geschichte eingehen.« Er blinzelte unruhig und versuchte, Tränen zurückzuhalten. »Ich will nicht, dass meine Familie damit leben muss … meine Mutter. Sie war einmal … schrecklich stolz auf mich …«
Narraway schnürte es die Kehle zu. Er unterdrückte alle Gedanken an den Abschied von seiner Mutter. Sie war schlank und dunkelhaarig so wie er. Sie war unglaublich elegant, sie konnte sich begeistert engagieren wie er auch, war aber gleichzeitig von einer ruhigen, zurückhaltenden Art.
»Dann sprechen Sie!«, sagte er, plötzlich richtig wütend, und setzte sich ihm gegenüber auf den Boden. »Erzählen Sie mir alles, was Sie über Chuttur Singh und Dhuleep Singh wissen. Und zwar schnell. Ich habe nur noch den heutigen Abend zur Verfügung, und ich hätte gerne noch etwas Schlaf, damit ich morgen vor Gericht meinen Mann stehen kann. Es wäre ja noch schöner, wenn mich jemand stützen müsste. Wenn Sie zusammenbrechen, spielt das keine Rolle, bei mir aber schon!«
»Das würde auch nichts mehr ausmachen«, erwiderte Tallis schnell, »Nicht wirklich. Es wäre nur lächerlich.«
»Also, Korporal!«, fauchte Narraway. »Erzählen Sie mir bis ins kleinste Detail, was Sie über Dhuleep und Chuttur wissen. Sie haben bis Mitternacht Zeit.«
»Und was machen Sie um Mitternacht? Für einen jungen und vermutlich gesunden Soldaten brauchen Sie ja verdammt viel Schlaf.«
»Ich selbst werde dann noch mehr über die beiden herauszufinden versuchen und die einzelnen Mosaiksteine zusammenfügen! Mir ein anderes Bild machen. Jetzt aber los.«
Aber Tallis konnte ihm nur wenig mehr sagen, als er bereits wusste. Es gelang ihm nur, den Schrecken und die Erschöpfung etwas lebendiger zu beschreiben. Er trug keinen Zorn in sich, außer über die Umstände des
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