Der Wein des Frevels
Meter, dann drehte er sich zu Popet um, gab eine fadenscheinige Erklärung ab.
»Ihr Vater ist vor zwei Tagen gestorben.«
»Tut mir leid«, entgegnete Popet. »Normalerweise lecken unsere Kanus nicht.«
Francis rannte davon, überdachte die Veränderung, die er so raffiniert in Tez bewirkt hatte, und seine tiefe Befriedigung glich einem Orgasmus. Nie zuvor hatte er sie so ekelhaft erlebt, so nerdenhaft. Das gefiel ihm.
»Diesmal hast du wirklich erreicht, was du wolltest«, sagte er, als er sie eingeholt hatte.
»Offenbar hast du trotz allem einen gewissen Einfluß auf mich.« Ihre Stimme klang leicht verwirrt. »Der Junge hat doch kein Trauma?«
»Er wird sich schon wieder erholen.«
»So muß man sich also auf der Nerde benehmen – immer?«
»Ja.«
»Es ist gar nicht so schlimm. Ich glaube, es hat mir sogar Spaß gemacht.«
Ohne ihr zu erklären, warum, küßte er sie. Sehr gut, Tez… Es hat ihr Spaß gemacht! Das ist ihre Ausdrucksweise, nicht meine. Jetzt wird es nicht schwer sein, dir von der Injektion zu erzählen. Ich werde es dir gestehen, bevor die erste Wiederholungsimpfung fällig ist. Dann wird die Bestattung deines Vaters eine drei Tage alte Erinnerung sein. Dann gibt es keine Geheimnisse mehr zwischen uns, Tez. Und vielleicht wirst du mir nicht einmal böse sein.
Mr. Nose war boshaft. Er hatte seine Fäden absichtlich durcheinandergebracht und in einem gordischen Knoten auf der Werkbank liegenlassen. Als Tez diese Teufelei in seinen Porzellanaugen las, beschloß sie, ihm eine Lektion zu erteilen. Sie nahm ihren Hammer und schlug ihm auf die Stirn. Splitter sprühten aus dem Schädel.
Der Lärm lockte Francis ins Zimmer, und der Anblick erschreckte ihn. »Große Sonnengöttin!«
»Der arme Mr. Nose!« Tez’ Zerknirschung wirkte irgendwie unheimlich. »Er hat versucht, mich zu ärgern.«
»Erlaubt Zolmec, Rache an Marionetten zu üben?«
Sie antwortete nicht. Langsam umschloß ihre Hand den größten Splitter, dann überreichte sie ihn Francis mit morbidem Übermut. Ihr Grinsen war häßlich. »Möchtest du ein Stück haben?«
Francis bemerkte, daß sie gleichzeitig die Neurovoren-Verworfenheit und ihre eigenen kindlichen Eigenschaften parodierte. Er barg die Hände in seiner Robe, schüttelte den Kopf und ging. Draußen vor dem Olo senkte sich die Dunkelheit herab.
Man sagte, daß Teot Yon mit seinen Steinen gesprochen hätte. Er hatte ihnen geschmeichelt und ihnen versprochen, wenn sie in sauberen Blöcken aus den Felswänden fielen, statt zu zersplittern, würden sie nach Aca wandern und große öffentliche Gebäude werden. Wie poetisch, dachte Francis, daß sich sein Scheiterhaufen nun neben einem Steinbruch im Osten erhebt. Der Wind wird Teots Asche erheben und über die Felsen streuen, die er so geliebt hat.
Und die Leute, die Teot liebten, standen im dicken Nebel und warteten auf die Verbrennung. Es war typisch für Huaca, daß er die Verzögerung bewirkte. Die Tagesdebatte hätte schon vor Stunden zu Ende gehen müssen, aber er hatte sich zweifellos in einen heftigen Diskurs hineingesteigert, und sein Gedankenstrom durfte nicht von so banalen Dingen wie einer Familientragödie durchbrochen werden.
Tez’ zornige Augen glitten über die Menge hinweg. »Man sollte sein Gehirn fressen«, verkündete sie in heiserem Flüsterton.
Francis hörte es. »Genau meine Meinung.« Von rechtmäßigen Trauernden umgeben, kam er sich klein und betrügerisch vor. Er hatte bei dieser Bestattung nichts zu suchen. Ein symbolischer Blätterregen von einem schwächlichen Ipu-Baum, dessen Lebensdauer der des Menschen glich, bewegte alle außer ihm.
Die meisten von diesen Leuten waren auf der Party gewesen. Heute hatten sie neue Identitäten angenommen, hatten graue Gesichter, trugen schwarze Kleider. Francis ertappte sich dabei, daß er immer wieder nickte, wenn er jemanden wiedererkannte – die blinde Umia, den ausgemergelten Fischer et alii –, jedesmal rasselte er »Wie schön, Sie wiederzusehen« herunter, und jedesmal wurde er von jenem merkwürdigen Unbehagen befallen, jener peinlichen Mischung von Vertrautheit und Geheimnis, die sich einstellt, wenn man einer Person zum zweitenmal begegnet.
Eine mürrische junge Priesterin kam heran, eine lodernde Fackel in der Hand. Der Nebel spuckte die Flamme an, und sie zuckte zusammen. »Ich halte nicht gern Reden, wenn ich naß bin«, sagte sie unfreundlich.
Tez beherrschte sich mühsam. »Gut, fangen wir ohne meinen Bruder an.«
In einer
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