Der Wein des Frevels
zwischen seine Beine. Verzweifelt versuchte er seine wirren Gedanken zu ordnen und blinzelte, um die Nebel vor seinen Augen zu vertreiben. Als er wieder klarer sehen konnte, blickte er auf die Menge. Die Gesichter zeigten Neugier, auch jene Selbstzufriedenheit, die so typisch ist für das Publikum eines blutrünstigen Melodrams. Keiner schien ihm helfen zu wollen.
»Soldaten…«, war alles, was er hervorbrachte.
»Das sind keine Soldaten mehr«, erinnerte Ticoma ihn boshaft. Burne stöhnte. »Sie haben die Leute ausgemustert. Aber keine Angst, Nerdenmann, ich werde Sie nicht töten – so gern ich das auch möchte. Ich werde Sie auch nicht kastrieren, sosehr Sie das auch verdienen würden. Meine Hände werden Ihnen nur Demütigung und Schmerz zufügen. Sie sind gedemütigt, weil Sie einen Schwertkampf mit einer lebenslangen Pazifistin verloren haben. Und der Schmerz – der kann nur von jener uralten Kunst rühren, in der Sie uns so gut unterwiesen haben.«
»Ticoma, nicht!« rief irgend jemand – zu spät. Sie hatte ihr Schwert bereits tief in Burnes linken Schenkel gestoßen. Nun zog sie es heraus, und das Blut floß.
Teot Yon war tot. Es geschah ganz allmählich, ohne Dramatik, während derselben Stunden, als Tez sich an ihrem Abschiedswein berauscht und Francis Umias Geschichten gelauscht hatte, doch das Liebespaar erfuhr es erst am nächsten Nachmittag. Francis hatte einen ganz bestimmten Plan für diesen Tag – er wollte die Wirkung der Noctus-Injektion beobachten und hatte beschlossen, Tez gnadenlos auf die Nerven zu fallen. Wenn er Glück hatte, würde er sie dazu animieren, ihn zu verfluchen, sein Leben zu bedrohen oder wenigstens das Geschirr quer durch die Küche zu werfen.
Doch nun war es klar, daß solche Experimente nicht nur an Grausamkeit grenzen, sondern wahrscheinlich auch fehlschlagen würden. Welche Aggressionen der Burggraben auch immer wecken mochte, der Kummer dieses Tages würde sie neutralisieren.
Tez aß nichts beim Dinner. Zwischen zwei Bissen Chactol schlug Francis vor: »Wir könnten doch morgen ins Hexenmoor gehen.«
»Warum nicht?« murmelte sie, zog sich in den Hof zurück, beobachtete die Sterne und fragte sich, welcher davon gestorben war, bevor sein Licht Quetzalia erreicht hatte.
Francis verging der Appetit, und er stand auf und folgte ihr. »In einem Jahr wird es nicht mehr so schlimm sein«, sagte er und wünschte sofort, er hätte es nicht getan. »Vielleicht möchtest du lieber allein sein«, fügte er hastig hinzu, als könne er damit seine erste Bemerkung zurücknehmen.
»Nein.« Sie wandte sich um und schmiegte sich an seine Schulter, an den weichen Stoff seiner Robe. Hinter ihr hoben sich Arme wie Türflügel.
»Mool verdient, was immer du ihm zugedacht hast«, sagte er. Ihr lebendiger Bauch fühlte sich gut und warm an.
»Als Vater noch Steinhauer war, hatten wir nicht viel Geld. Und ich sah diesen Bären – einen großen ausgestopften Panda. Auf Luta gibt es keine echten Pandas. In der Arche waren vier Kodiaks. Huaca hat einmal einen in den Bergen gesehen. Das war letztes Jahr, glaube ich.«
»Und du wolltest den ausgestopften Pandabären haben?« Francis lockerte seine Umarmung, und sie rückte von ihm ab.
»Der Verkäufer sagte, er würde zwanzig Cortas kosten. An meinem sechsten Geburtstag saß ein Bär auf dem Frühstückstisch, aber es war nicht der richtige. Es war nicht der Bär, den ich in diesem Laden gesehen hatte.«
»Woher kam dein Bär?«
»Es ist erstaunlich, nicht wahr? Der Mann brach Steine aus Felswänden, und er bastelte dieses Ding zusammen – aus Dingen. Das Schreckliche ist nur, daß ich ihn wissen ließ, wie enttäuscht ich war. Kinder können so… Ich meine, er brach doch Steine aus den Felsen…« Weinend tastete sie nach den Sternen. »Da ist sie – unsere Spielzeugkönigin.«
»Hatte der Bär einen Namen?«
»Ja – Fropie«, erwiderte Tez, und jetzt weinte auch Francis.
Eine scharfe Brise fuhr durch den Nationalpark. Die Liebenden fuhren ins Hexenmoor und wußten, daß sie nicht lange genug bleiben würden, um die Kanumiete von vier Cortas zu rechtfertigen, die sie einem albernen, gutmütigen Kind namens Popet bezahlt hatten. Das Kanu war schäbig, hatte keine Sitzbänke, und die Farbe blätterte ab. Doch die Bootswände ragten hoch aus dem Wasser, und die Fahrgäste wurden wenigstens nicht naß. Francis paddelte im Heck, während sich seine Liebste über den Bug neigte, einen Zweig hinter sich herzog und
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