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Der Wein des Frevels

Der Wein des Frevels

Titel: Der Wein des Frevels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Der Schnee dämpfte den Lärm. Francis beschloß, vorsichtig zu sein. »Bleiben Sie bei mir, Mouzon. Ohne Ihre Hilfe werde ich meinen Lipoca nie wiedersehen.«
    Das Geschrei war verstummt, als sie das Fallgitter passierten. Und nachdem es sich herabgesenkt hatte, strahlte Mouzons heilige Autorität in alle Richtungen und sorgte dafür, daß Francis in einer unsichtbaren, zwei Meter breiten Luftblase einigermaßen unbehelligt blieb. Namen drangen ihm entgegen wie die Schneeflocken.
    »Kitu Pon! Ist Kitu Pon am Leben?«
    »Meine Tochter heißt Quilo Loir!«
    »Topi Hazpec!«
    »Mochi Shappa!«
    Er konnte jedesmal einen schmerzlichen Blick und zehn Wörter anbieten. »Wir haben keine Verlustliste. Die Überlebenden werden in zwei Tagen zurückkommen.« Er sagte es dreißigmal.
    Ohne die Schritte zu verlangsamen, erreichte er den Lipoca, der immer noch an dem Knochenstrauch festgebunden war. »Werden Sie bald abreisen?« fragte Mouzon. Blaue Flocken klebten an seinem Mantel, und er sah aus wie ein feister Schneemann.
    Francis zeigte ihm einen unregelmäßigen Zylinder. »Damit kann man die Darwin aufsperren. Sehen Sie zu, daß Sie Tixo Mool finden, und bringen Sie ihn hinein.«
    »Das Raumschiff ist für uns tabu, Dr. Lostwax.«
    Francis mußte sich sehr anstrengen, um seiner Stimme einen festen Klang zu verleihen. »Das wird es nicht mehr sein, wenn Sie es gesegnet haben – « Sein Erfolg überraschte ihn. Widerstrebend nahm Mouzon den Schlüssel entgegen. »Was soll er tun?«
    »Meinen Freund untersuchen – Kabine Nummer zwei.«
    »Vielleicht hat Dr. Mool andere Pläne für diesen Abend.«
    »Sie wollen uns doch loswerden, oder? Aber solange Burne krank ist, haben Sie uns am Hals.«
    »Ist es wirklich so wichtig?«
    »Sehr wichtig.« Francis betonte jede Silbe. Dann fügte er in ebenso beunruhigendem Ton hinzu: »Ich glaube, sein Bein ist tot.«

In dieser Stadt hat man das öffentliche Beleuchtungsproblem nie gelöst, dachte Francis, als er seinen Lipoca durch den trüben, öligen Schein der Straßenlampen lenkte. Um diese rauhe Jahreszeit verließ die Bevölkerung des Nordens ihr Zuhause, abgesehen von den beherzten Bürgern, und floh nach Tepec, Aca und Oaxa, wo der Winter traditionsgemäß um ein paar Grade wärmer und leichter zu ertragen war. Auch nach dem Einbruch der Dunkelheit hielt die Immigration noch an, und Francis ritt zwischen Tausenden von Quetzalianern dahin, die in aller Eile die diversen Hotels und Verwandtenquartiere ansteuerten, wo sie wohnen wollten, bis die Qual des Aphels vorüber war.
    »Sagen Sie mal – kommen Sie vom Raumschiff?« Die Stimme war leise, aber keck. Sie gehörte einem kleinen Jungen, der in dem dunklen Tal zwischen Francis’ Lipoca und einem mit Büchern gefüllten Karren stand. Der Junge lud Bücher aus. Das ergab einen gewissen Sinn, denn mit Büchern würde der Winter schneller vergehen.
    Zuerst dachte Francis, er sei als außerplanetarer Besucher erkannt worden. »Ja«, antwortete er zögernd und zugehe sein Reittier.
    »Die Nerdenmänner werden bald davonfliegen, nicht wahr?«
    »Ja. Kennst du jemanden, der bei der Armee ist?«
    Trotz der Finsternis sah Francis den Stolz in den Augen des Kindes. »Meine Familie, meine Freunde – wir waren alle dagegen. Vater sagt, man darf seine Prinzipien nicht töten, nur weil die Regierung das Begräbnis zahlt.«
    »Aber jetzt gehört der Planet uns.«
    »Vater sagt, dadurch wird sich nichts ändern.«
    Francis stammelte unverständliche Laute, zwang sich zu einem Husten. Was für ein Glück, daß ich einem gottverdammten fetten Priester in die Arme gelaufen bin… Die dicke Lipoca-Wolle schob sich an seinen Schenkeln hoch, als er davongaloppierte.
     
    Vor dem Olo war alles schneeblau, still und normal. Doch als er abgestiegen war und durch den Garten ging, sah er das Haupttor offenstehen wie eine klaffende Axtwunde. Gelbes Licht, aus unsichtbarer Quelle, fiel heraus. In diesem harmonischen Land, wo die Leute nichts von Türschlössern wußten, konnte jedermann, der Lust dazu hatte, in das Leben seiner Zeitgenossen eindringen, und heute abend hatte offenbar irgend jemand eine solche Lust verspürt. Francis’ erster Gedanke war, daß er sich bewaffnen mußte, um sich gegen einen Einbrecher zu verteidigen, doch dann erinnerte er sich lächelnd, daß der Planet unter seinen Füßen nicht die Nerde war. Wahrscheinlich hatten sich ein paar Cuzianer im Haus einquartiert, die wie die Käfer ganz genau wußten, wo es warm war. Es war

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