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Der Wein des Frevels

Der Wein des Frevels

Titel: Der Wein des Frevels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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unnachgiebige Opos. Auf dem Fluß, der aus Haß gemacht war, bildeten sich zerfurchte Eisscheiben und strebten der Mitte zu. Wie eine heilende Wunde begann sich der Graben zu schließen.
    Die Opoche namens Lamux war berühmt für ihre plötzlichen Schneefälle. Bestehend aus purpurrotem Dampf, beleuchtet von einer Jadesonne, strahlten die Flocken das intensive Blau stofflosen Bluts aus. Schon zweimal waren sie sanft auf Quetzalia herabgesegelt, wie Samen aus einer Bauernhand, doch Iztac hatte sie beide Male verbrannt. Doch jetzt schneite es stärker in solchen Mengen, daß die Bürger beschlossen, daheim am Herd zu bleiben. Wenn die Darwin heute eintrifft, so sagten sie sich, würde sich die Neuigkeit schnell genug verbreiten, und außerdem ist dieser Tee so warm und süß.
    Einsam wanderte Francis auf der Mauer dahin, wartete fröstelnd auf das überfällige Schiff. Trommelwirbel dröhnten aus der Knochenhülle seines Mundraums. Was tue ich hier? Bin ich verrückt? Zwei Ichs kämpften in seinem Gehirn. Wenn ich nach Hause gehe, sagte das erste, denke ich an Tez, brüte vor mich hin und masturbiere. Du denkst schon jetzt an Tez, sagte das zweite Ich. Und du brütest auch, aber du masturbierst nicht, weil das Wetter nicht dazu geeignet ist.
    Seit der Ohrfeige wurde Tez vermißt. Ihre Kollegen in der Klinik nahmen an, daß sie sich Urlaub genommen hatte, ohne vorher Bescheid zu sagen. Ihr Bruder, noch immer schockiert über jene Tätlichkeit und voller Schuldgefühle, weil sie berechtigt gewesen war, hatte keine Theorien anzubieten. Bedrückt wegen der peinlichen Rolle, die er bei der Erforschung von Janet Vijs Notizen gespielt hatte, zuckte Loloc Haz nur mit den Schultern, als Francis ihm Fragen stellte, und meinte, Tez sei zu tüchtig und Quetzalia zu gütig, als daß sie in irgendwelchen physischen Gefahren schweben könnte. »Dies ist nicht die Nerde, wissen Sie, auch wenn es vielleicht dazu kommt, wenn Sie und Newman hier fertig sind.«
    Verzweifelt über die Leere in seinem Bett hatte Francis zunächst in einem Gästezimmer, dann auf einer Couch geschlafen – und jetzt schlief er überhaupt nicht mehr. Wenn Tez in den nächsten zehn Stunden keine Noctus-Injektion bekam, überlegte er besorgt, würde sich ihre neuerworbene Menschlichkeit wieder zum quetzalianischen Pazifismus zurückentwickeln. Aber das war noch nicht das Schlimmste.
    Es war auch nicht das Schlimmste, daß sie sich verlaufen haben könnte. Wie Loloc gemeint hatte – Tez war ganz sicher imstande, sich zu retten.
    Das Schlimmste war, daß sie sich vor ihm versteckte, daß sie seine Auswanderungspläne stumm zurückwies. Sie liebte ihn nicht…
    In der Abenddämmerung ließ der Schneefall nach. Wie ein Bauer, der die Stalltür hinter seinen entlaufenen Kühen schließt, knöpfte Francis seinen Mantel zu. Seit kurzem folgte er dem quetzalianischen Beispiel und ergänzte seine Robe mit einem wollenen Mantel. Seine Wollkappe war wie ein Kürbis geformt. Das Ensemble war so eindrucksvoll, daß es auf der Nerde die ungeteilte Aufmerksamkeit zahlreicher Entrepreneurs hervorgerufen hätte. Vorausgesetzt, daß man das Design ändern konnte, um es der schnellebigen, profitträchtigen Mode anzugleichen, hätten sie entweder ein horrendes Vermögen damit gemacht oder eine angenehme Steuerabschreibung herausgeschlagen.
    Francis studierte die quetzalianische Seite der Mauer, ließ den Blick über die heterogene Harmonie wandern – viereckige Steine, runde Steine, glatte Steine, rissige Steine –, bis er zwei Gestalten entdeckte, die sich ernsthaft und unverständlich am Fuß des näheren Zugbrückenturms unterhielten. Heute fungierte eine temperamentvolle Frau in mittlerem Alter als Türsteherin. Ihr Kopf war von mehreren Tüchern umhüllt. Ihr Gesprächspartner, ein Kurier, ebenfalls in mittleren Jahren und vor Kälte etwas lethargisch, war offenbar mehr als ein flüchtiger Bekannter. Einmal versuchte er sie zu küssen, aber sie zuckte so blitzschnell zurück wie eine Möwe, die gemerkt hat, daß sie im falschen Nest sitzt. Sehr gut, dachte Francis, der ist nichts für dich.
    Das zweite Ich hatte gewonnen. Geh nach Hause, sagte es, und er näherte sich den Stufen. Eine niederträchtige Schneeflocke flog ihm ins Auge. Er wandte sich zum Wald und sah seinen Lipoca, an einen Strauch festgebunden, der wie eine große fleischlose Hand aussah. Kohlendioxyd dampfte aus den Nüstern des Tieres.
    Er wollte gerade die Stufen hinabsteigen, als – unverkennbar und

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