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Der Wein des Frevels

Der Wein des Frevels

Titel: Der Wein des Frevels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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daß du es verstehen würdest. Manchmal liebt man einen Menschen so sehr, daß man einfach tun muß, was am besten für ihn ist.«
    Plötzlich war sie ganz ruhig. Die Wirkung des letzten Schlucks war noch nicht in ihrem Gehirn angekommen. »Und so hast du etwas getan? Was?«
    »Das Beste.«
    »Für mich.«
    »Das Beste für dich.«
    »Ich habe geschlafen.«
    »Du hattest viel getrunken in jener Nacht – so wie heute.«
    »Drei Kubikzentimeter?« stieß sie keuchend hervor.
    »Von einer zehnprozentigen Lösung. Genau die richtige Dosis.«
    »Mit einer Injektionsnadel?«
    »Wie sonst?«
    »Mit dieser Spritze?« Zitternd erhob sie sich. Trotz der Kälte trug sie nur eine Robe. Und daraus riß sie nun Francis’ Spritze, war sie auf die Platte, verspritzte Lammblut.
    Er erstickte beinahe an seiner Verblüffung. »Wo hast du das her? Das ist doch eine Maschine!«
    Sie goß den Wein auf den Tisch, schlug in die Pfütze wie ein Kind, das mit seinem Essen spielt. »Du bezeichnest dich als Wissenschaftler. Und doch brichst du die Gesetze der Wissenschaft genauso wie…« Sie packte das leere Champagnerglas, und als sie damit fertig war, bestand es nur noch aus einem Stiel.
    »Du hast recht«, sagte er. »Ich war unbesonnen…«
    »Allerdings, du Rotznase!«
    »Ich habe es wohl nicht besser verdient…«
    »Du Gehirnfresser! Während ich schlief… Ich nehme an, du hast mich gleichzeitig auch vergewaltigt.«
    »Es waren nur drei Kubikzentimeter.«
    »Drei Kubikzentimeter! Du hast ja keine Ahnung, was du getan hast!« Das Blut dröhnte in ihren Ohren. »Ich dachte, es wäre alles nur ein Traum gewesen – den ich erfunden habe…«
    »Erfunden?«
    »Ich ertrage es nicht – nicht ohne…« Bevor er seine Frage wiederholen konnte, hatte sie die Spritze gepackt und war mit flatternder Robe in den Weinkeller gelaufen. Er folgte ihr nicht.
     
    Francis hielt nicht viel von Souvenirs. Als er die berühmte Natwick-Wüste auf der Erde bereist hatte, waren alle entsetzt gewesen, als er ohne singende Kakteen zurückgekehrt war. Und aus Orchard City war er ohne ein einziges Schnitzbild von der berühmten Cathedral Bridge zurückgekommen. Und so war es ganz selbstverständlich für ihn, auch Quetzalia mit leeren Händen zu verlassen. Der halbvolle Rucksack, den er neben den glimmenden Kamin im Salon stellte, enthielt nur seine Nerdenkleider und – ganz zuoberst – den Glasmetallkäfig.
    Er ging in die Küche und kehrte mit einem Berg fetter Würstchen zurück. Der Cortexclavus saß still und in sich gekehrt da, die Beine an den geschlossenen Deckel geheftet. Francis überlegte, daß für den Käfer von oben nach unten ungefähr genauso sein mußte wie von unten nach oben. Er steckte die Würstchen zwischen den Gitterstäben hindurch, und der Käfer krabbelte heran, als ihm der Duft in die Nase stieg.
    »Ollie«, sagte Francis, »ich könnte deine Flügel durchlöchern und deine Antennen abschneiden und deinen Rüssel zu einem Löffel feilen, und du wärst immer noch glücklicher als ich.« Der Käfer hieb seine Mandibeln in das Fleisch. »Burne ist halbtot, Tez halbverrückt. Hörst du mich, mein Käfer? Ich liebe sie – nicht weniger als vor zwei Opochen, als sie mir sagte…«
    Ein Glasrescendo unterbrach ihn. Er sprang auf, und als er seinem Gehör durch den Bankettsaal zum Weinkeller folgte, krachte es ein paarmal noch lauter. Francis wußte, daß er sich wieder einmal mit Tez herumschlagen mußte, und murmelte: »Am liebsten würde ich weinen.«
    Sie saß auf einem vermoderten Faß, den Rücken an ein Champagnergestell gelehnt. In der Wand über ihren Schultern klaffte ein Loch, und daraus nahm sie einen Ziegelstein nach dem anderen, um damit auf eine Claret-Fassade zu zielen. Wenn sie auch betrunken war – sie konnte gar nicht daneben werfen.
    Vor Francis’ Füßen breitete sich ein Teppich aus Glasscherben und Wein aus. Erschrocken beugte er sich vor. Haß und Furcht verzerrten Tez’ Gesicht. Die Weinflecken auf ihrer Robe sahen wie Wunden aus.
    »Tez, du solltest ins Bett gehen.«
    »Jetzt weiß ich wieder, womit ich dich überraschen wollte«, lallte sie.
    »Ja?«
    »Deine Überraschung ist – drei.«
    »Drei«, wiederholte er.
    »Drei und drei ist sechs.«
    »Sechs – was?«
    »Kubikzentimeter. Ich – ich wollte ein Mensch werden, Francis.«
    »Du hast dir selber eine Injektion gegeben?« Er war gerührt – und auch entsetzt. »Wann?«
    »Nach dem Begräbnis.«
    Francis kämpfte mit sich, um seine Angst zu besiegen.

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