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Der Wein des Frevels

Der Wein des Frevels

Titel: Der Wein des Frevels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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jetzt losgehen und der Wind Sie in einen Abgrund wirft, wird der Neurovore einen unverdienten Sieg erringen.«
    Als er Talo zusammen mit ihrem Mann sah, mußte er an zwei Bücherstützen denken. Aras’ Leibesfülle erschien dem Betrachter ebensowenig wie die seiner Frau als überflüssiges Beiwerk, sondern als notwendiger Teil eines Ganzen. Er sang, als er das Frühstück machte, und Talo fungierte als Begleitchor.
    Der starke Geruch von gebratenem Räucherfleisch lockte Lix und Lapca die Leiter herab. Auf der Nerde hätte sich das Holovision sofort dieser beiden reizenden Kinder bemächtigt und sie benutzt, um irgend etwas zu verkaufen. Noch nicht ganz neun Jahre alt, strebten sie der Teenager-Zeit wie zwei stämmige junge Bäume entgegen und erinnerten Francis an seinen Sohn Barry. Er wäre sicher genauso geworden wie Lix und Lapca, intelligent und eifrig, auch mit dieser verdammten Krankheit. Francis bemühte sich, diese Gedanken zu verdrängen und die üblichen Fragen nach den Zwillingen zu stellen. Welcher war klüger? Welcher war selbstbewußter? Welcher wurde mehr beneidet?
    Während der Vormittag gemütlich dahinging, wurde es deutlich, daß man diese Fragen nicht mit jeweils einem Wort klären konnte. Lix war schwatzhaft und liebenswert, aber wenn Lapca sprach, so hing eine Aura von tieferem Sinn in der Luft. Lix spielte Flöte und kannte fünf epische Gedichte auswendig, aber Lapca konnte um sechs Schachzüge vorausdenken. Lix neigte zu einem frühreifen Zynismus, und es fiel ihm schwer, seine wahren Gedanken auszusprechen. Lapca verlor ständig irgend etwas in der Hütte und wirkte manchmal selbst verloren, ohne ersichtlichen Grund.
    Am Nachmittag versuchte Francis die Fragen der Zwillinge nach der Nerde und dem übrigen Solarsystem zu beantworten. Er wünschte, er wäre ein unterhaltsamerer Erzähler, nicht so sehr, weil sein Ego nach einem gebannten Publikum verlangte, sondern weil das eine nette Abwechslung für diese Kinder wäre, die in einer Welt ohne Kino-Epen, Holovisionen und andere phantastische Vergnügungen lebten. Er berichtete von Halloween und Berg-und-Tal-Bahnen, von Sprengball, Rabattmarken und dem Überangebot an Roboterspielzeug – vom Berg Fudge – und von größeren Dingen. Vom Planeten Arete. Von Kritonia mit seinen Morgs, die durch schweigende Meere schäumten. Als er schwieg, meinte Lapca: »Das war wahnsinnig interessant, Dr. Lostwax.« Er sagte es mit so aufrichtiger Begeisterung, daß Francis ihn am liebsten umarmt und geweint hätte.
    Beim Dinner verkündeten die Zwillinge, daß Iztac nach ihrer allerneuesten übereinstimmenden Ansicht heute nacht nicht vom Himmel herabsteigen würde. Dieser ganze Feiertag war nur eine Illusion, geeignet für kleine Kinder, aber nicht für sie. An diesem besonderen Legendenabend würden Lix und Lapca ihren Eltern helfen, die Lichterstadt aufzubauen. Sie hatten sogar schon Pläne gemacht.
    Aras lehnte sich von seinem Schweinefleischteller zurück und hob eine Teetasse an die Lippen. »Talo, unsere Söhne werden anscheinend erwachsen.«
    »Tz, tz«, machte sie in spöttischem Ernst. »Und wir haben immer gesagt: >Hier kann so was gar nicht passieren.<«
    »Wir haben ja nichts gegen die Legende«, warf Lix ein. »Sie ist immer noch – wie hast du das gestern abend ausgedrückt, Lapca?«
    Lapca antwortete mit einem Koboldlächeln: »Es ist immer noch von profunder allegorischer Bedeutung.«
    »Ich verstehe überhaupt nichts von dem, was ich in den letzten zwanzig Minuten gehört habe«, sagte Francis und spießte eine Kartoffel auf.
    Lix begann es ihm zu erklären, und seine Familie fügte Einzelheiten hinzu.
    Der Junge erzählte von einem längst vergangenen Zeitalter, als der Planet Luta das Lichtvolk beherbergt hatte, Wesen, die aus reiner Energie bestanden hatten. Das größte und herrlichste war Iztac gewesen. Für das Lichtvolk war die reine Materie eine ebenso abstrakte und flüchtige Realität wie für die Menschen das reine Bewußtsein. Aber allmählich lernte das Lichtvolk unter Iztacs Zwang mit der Wissenschaft umzugehen und das Greifbare zu erfassen. Sie bauten eine große, hoch aufragende Stadt auf Luta, eine Stadt, die halb aus Gedanken und halb aus Substanz bestand, halb aus Partikeln und halb aus Wellen. Eine Stadt des Lichts.
    Eines Tages sprach Luta mit Iztac und warnte sie vor einem drohenden Schicksal. Das gegenwärtige Zeitalter würde enden. Die Materie sei die neue empordämmernde Wahrheit. Bald würde das Lichtvolk in der

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