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Der Wein des Frevels

Der Wein des Frevels

Titel: Der Wein des Frevels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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    Einsam und frierend streckte Francis eine behandschuhte Hand aus. Schneeklumpen fielen herunter wie Grind und gaben das Wort »Tepec« frei. Er erinnerte sich, daß Cuz im Nordnordwesten lag, und so stapfte er zu einer Stelle, die ihm, wie er hoffte, mehr Glück bringen würde. Er rieb den Schnee weg, ein C kam zum Vorschein. Das C in Cuz, nicht in Aca – es sei denn, er hätte sich verirrt. Er konnte nur Klarheit gewinnen, wenn er weiterrieb.
    Ein menschliches Auge erschien, starrte ihn an, unter einem reglosen Lid hervor. Francis sank in den Schnee, blieb keuchend liegen.
    Gott des Friedens, es ist wahr… Ich verfolge eine Mörderin.
    Er legte eine Hand über die Augen, dann hob er einen Stiefel, trat nach der Leiche. Blaue Klumpen fielen auf sein Schienbein. Er ließ die Hand sinken, bestrafte sich mit diesem Anblick.
    Die Leiche war noch jung – ein Mann, mit Tez’ Wollschal an den Turm gebunden. Der Kopf war leergeräumt worden wie eine Nußschale. Schnee hatte sich in der häßlichen Höhle gesammelt.
    Er sah noch einmal hin. Über dem zerklüfteten Turm zeigten sich die Buchstaben u und z, von gefrorenem Blut halb verdeckt.
    Ihm war übel, als er zu seinem Lipoca stapfte und es erst beim dritten Versuch schaffte aufzusteigen. Er ritt in die Richtung, wo die toten Augen hinschauten – zu den ehrfurchtgebietenden Ripsaw-Mountains. Als die Gipfel näher rückten, hüpften seine Gedanken wie verrückt zwischen Tez und Burne und dem nächsten Besucher des Turms hin und her, der an der Basis einen vereisten Berg unverdautes Frühstück finden würde.
     
    Blau. Blau auf Blau. Blau, das sich entnervend in alle Richtungen erstreckte. Glitzerndes Blau, das die ferne, jämmerliche Sonne einfing und geradewegs in Francis’ zusammengekniffene Augen weiterleitete. Der Lipoca haßte das Blau und weigerte sich, in flottem Tempo dahinzutraben, bis Francis ihm mit einem doppelt zusammengelegten Schal die Augen zuband. Die blauen Kilometer trotteten vorbei.
    Nachts stampfte Francis so lange auf dem Blau herum, bis es eine harte Plattform wurde, auf der er sein Zelt aufschlagen konnte. Ob in den schleimigen Sümpfen von Arete oder in der fieberheißen Wüste Lutas – er hatte Camping immer nur als Gipfel der Unbequemlichkeit betrachtet. Aber nun gestand er sich ein, daß es gewisse romantische Aspekte hatte, und er konnte sogar verstehen, daß Burne Spaß an diesem geballten Unbehagen fand.
    Er bezweifelte nicht, daß Nazra zu Recht behauptet hatte, Tez würde nach Cuz gehen. Aber während der Gouverneur dieselbe primitive Punkteverbindungs-Technik angewandt hatte, mit deren Hilfe Burne vor einigen Opochen seinem Neurovoren zu Leibe gerückt war, hatte Francis versucht, Tez’ wirres Gehirn zu analysieren und ihre Beweggründe zu rekonstruieren. Über allem lag die Last ihrer Schuld. Fliehe, sagte ihr Gewissen. Verkriech dich mit deinen schrecklichen Zwängen in der Einöde, in den südlichen Dschungeln, an den westlichen Meeren, in den nördlichen Bergen, damit du deiner Rasse keinen Schaden mehr zufügen kannst. Aber diese Triebe würden sie nicht verlassen, das wußte Tez. Sie würden sich heimtückisch in ihr aufstauen und dann eines Tages über sie herfallen wie tollwütige Hunde. Dann würde sie Leute brauchen – keinen einsamen jungen Dschungelökologen oder ein paar Fischer aus Uxco, sondern Cuz. Und Francis gelobte sich, daß sie nie dorthin gelangen würde.
    Nach neun Tagen waren sie mitten in den Bergen. Keuchend erklomm der Lipoca die steilen Hänge und tat sich selber leid. Die Nächte konnte er ebensowenig genießen. Das Lager wurde unweigerlich in Höhlen aufgeschlagen, und die arme Kreatur quäkte verzweifelt, als ihr der Nachtwind ein unheimliches Rascheln aus den dunklen Tiefen ins eine Ohr wehte und schrilles Wolfsgeheul aus dem Wald ins andere trug.
    Mit Hilfe seiner Laterne entdeckte Francis eines Nachts, daß die Raschler eine Art mutierter Chitzals waren, deren Körper von giftigen Federn strotzten. Glücklicherweise bewog das Licht sie zum Rückzug, und er betrachtete nachdenklich eine Reihe leuchtender Stalagmiten. Sie weckten Erinnerungen an den armen Luther, die arme Kappie, die er geliebt hatte, ohne Erfüllung zu finden, dann an die arme Tez, die er immer noch liebte, trotz allem. In diesem Moment lebte Tez irgendwo, schlief oder, was wahrscheinlicher war, lag wach und grübelte nach. Sie würde unablässig nachdenken. Wenn man irgend jemanden verstehen will, überlegte Francis,

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