Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wein des Frevels

Der Wein des Frevels

Titel: Der Wein des Frevels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
Vom Netzwerk:
Zeit erstarren und auf den Himmel verbannt werden, um sich in Sterne zu verwandeln, während Steine und dann Tiere und dann wahrnehmungsfähige Tiere den Planeten erobern, würden.
    Iztac wurde ganz verzagt, als sie hörte, daß sie ihre Stadt verlieren würde.
    »Ich kann dir nur einen Trost anbieten«, sagte Luta. »Wenn du zum Himmel hinaufgeschleudert wirst, werde ich versuchen, dich zu fangen und in der Nähe festzuhalten. Und einmal im Jahr, wenn die Menschen schlafen, darfst du wiederkommen und deine Stadt wieder aufbauen. Einmal im Jahr wird reine Energie über deine milchigen Straßen wandern und in deinen Glaspalästen wohnen. Aber in der folgenden Nacht muß deine Stadt verschwinden, und du mußt zum Himmel zurückfliegen.«
    Iztac stimmte zu, und seither kam sie an jedem Legendenabend…
     
    Die Lichterstädte, die in den Wohnzimmern von Quetzalia rekonstruiert wurden, verdankten ihre Existenz einer süß duftenden, transparenten Substanz namens Zarc, einem Destillat aus den Herzen der Aale. Wenn Zarc auf zweihundert Grad Celsius erhitzt wurde, entwickelte es unheimliche Eigenschaften. Voller Ehrfurcht sah Francis zu, wie Talo, Aras und die Kinder mit Schilfrohren in dampfenden Töpfen herumstocherten und dann mit der Luft duellierten, um Schleier aus großen, tropfenden Tüchern zu ziehen. Wenn Zarc abkühlte, erstarrte es in den seltsamen geometrischen Formen, die das Schilf gezeichnet hatte.
    Aras baute die Stadtmauern, während sich Lix an seine Pläne hielt und die breiten Hauptstraßen hineingoß. Lapca blies in sein Schilfrohr, und da quoll ein glatter kegelförmiger Turm heraus. Talo spann mit kreisrunden Bewegungen ein massives Schloß. Dann übergab sie ihr Schilfrohr dem Gast Francis, experimentierte entzückt und voller Eifer und stattete das Nordwestviertel der Stadt mit einer Nerden-Berg-und-Tal-Bahn aus. Um Mitternacht war die Stadt bis zur Decke hinaufgewachsen und nahm einen Großteil des Wohnzimmers ein.
    Nun kam das Lichtvolk heraus. Fünfzig Kerzen steckten hinter Fenstern und entlang der Straßen. Die Öllampen wurden gelöscht, und die kristallklare Leuchtkraft der Stadt erfüllte die Hütte. Am schönsten waren die Schatten – komplizierte Muster, die über die Zimmerdecke flackerten, wie Spinnennetze über die Wände glitten und sich immer wieder veränderten, wenn sich die Flammen bewegten.
    Niemand sprach, alle sahen nur zu.
    Als die Stille immer dichter wurde, bemerkte Francis, daß der einst so hysterische Blizzard zu einem leisen, periodischen Stöhnen herabgesunken war. Er öffnete die Tür und sah überrascht, daß das Lichtvolk den Himmel nicht ganz verlassen hatte. Unter den Sternen erstreckte sich eine riesenhafte, wellige Bläue ins eisige Dunkel. Es schneite nicht mehr. »Ich müßte jetzt gehen«, sagte er leise.
    »Was für eine dumme Idee!« Talo stand an seiner Seite. »Durch diese Schneewehen? Man braucht nur einen falschen Schritt zu machen – und versinkt wie im Treibsand. Warten Sie bis morgen.«
    Francis blieb in der Tür stehen und strich über den festgenagelten Pelz, der das Innere der Hütte vor Zugluft schützte. »Also gut, dann werde ich bei Sonnenaufgang losmarschieren. Nein, eine Stunde vor Sonnenaufgang.«
    Die Cies-Familie verschwand in irgendwelchen Ecken und Winkeln und kam dann mit bunt bebänderten Paketen zurück. Wie Pilger, die um Einlaß bitten, stapelten sich die Geschenke vor den wächsernen Toren der Stadt.
    Aras griff nach einem roten Zylinder, den er Francis lächelnd überreichte. »Das ist für Sie.«
    »Darf ich es schon jetzt aufmachen?« Das Paket war ziemlich schwer.
    »O ja!« rief Lix.
    »Wir wollen auch sehen, was drin ist«, sagte Lapca.
    Francis zog und zerrte an dem Papier, und da kam eine Klinge zum Vorschein, die im Kerzenlicht schimmerte, glatt und ebenmäßig. »Das ist ein Feuermoosmesser«, erklärte Aras. »Damit kann man Brennstoff fördern.«
    »Morgen abend werden Sie ein großartiges Lagerfeuer haben«, meinte Lapca.
    Francis balancierte das Messer auf dem Zeigefinger. Der Griff, mit phantastischen geschnitzten Tieren geschmückt, weckte eine traurige Erinnerung an Tez’ Obsidianskalpell. »Ich habe gar nichts für Sie«, klagte er betrübt.
    »Befreien Sie uns von allen Neurovoren«, entgegnete Talo. »Das ist mehr als genug.«
    Aras ging in die Küche und kam mit zwei Terrinen zurück, über deren Ränder eine weiße Brühe schäumte. Becher wurden verteilt, und jeder tauchte den seinen in einen Topf und

Weitere Kostenlose Bücher