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Der Wein des Frevels

Der Wein des Frevels

Titel: Der Wein des Frevels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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dauern, Lostwax! Was sollten wir denn essen! Sand? Und es wäre nicht so einfach, an den Wilden vorbeizukommen, wie du dir das vorstellst. Wahrscheinlich haben sie die Darwin inzwischen gefunden.«
    »Glaubst du, daß sie sich so weit von zu Hause entfernen?«
    »Für Raubtiere ist das kein weiter Weg. Sie könnten das Schiff in einem knappen Tag erreichen. Und du wirst dich vielleicht erinnern, daß der erste Schädel praktisch vor unserer Tür lag.« Burne wies auf einen traurigen Weststern. »Nein. Wenn ich diese Richtung noch einmal einschlagen sollte – dann nur in Begleitung einer Armee.«
    »Du hoffst also auf Luthers Zivilisation?«
    »Worauf sollen wir denn sonst hoffen?«
    Francis vernichtete den Stern, indem er ihn auf den blinden Punkt seiner Netzhaut verbannte. Ja, verdammt, Burne hat recht. Vorerst müssen wir wie die Wilden in ihrem üppigen Land dahinvegetieren, hoch oben auf den Bäumen schlafen und die Gedärme auf Blumen entleeren und Früchte und Gedanken fressen lassen. Jetzt können wir nichts weiter tun als fliehen.
     
    Der Fluß war breit und tief. Wie ein Spiegel sah er von manchen Blickwinkeln betrachtet dunkel aus, von anderen silbrig. Die dunklen Stellen war unvorstellbar dunkel, so düster wie das Innere einer Sünde. Die silbrigen erinnerten an Aale aus Quecksilber. Es waren schnelle, verwirrende, metallische Punkte, und sie bewirkten, daß man ein leises elektrisches Summen wahrnahm, das über die Wasserfläche glitt.
    War das ein geologischer Zufall? Oder ein von Menschenhand geschaffener Kanal, eine Errungenschaft der Ingenieure, die an Bord der Eden Drei gewesen waren? Und was am sonderbarsten war – warum erhob sich am anderen Ufer eine steinerne Mammutmauer? Keiner der drei Wissenschaftler, die an den Wasserrand getreten waren, wagte auch nur eine Vermutung auszusprechen.
    Francis ließ sich auf allen vieren nieder, beugte sich über das Ufer und bereitete seine Nasenlöcher auf die süßen Düfte eines Mistkäfers vor. Aber der Geruch des Flusses war noch viel angenehmer – wie die verschiedenen Ausdünstungen des eigenen Körpers.
    »Ist es schlimm?« fragte Burne.
    »Nur undelikat.«
    Der dickflüssige Strom verbreitete einen beißenden Gestank wie ein Mutter-Mocha-Milchshake, der sich aus giftiger Milch, verdorbenem Zucker, degenerierten Früchten und bösen Fetten zusammensetzte.
    »Diesen Burggraben kann nur ein Chemiker lieben«, erklärte Luther. Er hielt den Wistar-Stab hinein und beobachtete, wie die Farben des Geräts wechselten, wie die Skalen zuckten. »Verdammt, das ist kein Wasser, und der Stock will uns einreden, daß die genetischen Materien und Aminosäuren sich in biologischem Sinn zu einem Ganzen vereint haben.«
    Francis’ Kinnlade klappte nach unten. »Du meinst, daß diese Brühe lebt?«
    »Ich sage nur, daß sie zuviel Silberhalogenid enthält, um organisch zu sein, und zuviel Gewebe, um was anderes zu sein. Stell dir eine Substanz vor, die weder beseelt noch unbeseelt ist. Sie kann wachsen wie ein Kristall und sich vermehren wie eine Kuh. Und jetzt stell dir jemanden vor, der darin schmilzt…«
    »Luther!« Burne zeigte auf den Wistar-Stab. Alle Augen hefteten sich darauf. Das Mittelstück war nun ein Stumpen, das Unterteil war verschwunden. Von dem hungrigen Burggraben verschlungen.
    Luther nahm einen letzten Test vor. Er packte ein Crysaniumrohr aus und opferte es der Wissenschaft. »Ich habe noch drei weitere in meinem Rucksack.«
    Das Rohr floß in der Strömung dahin und löste sich auf wie eine Gehirnmasse im Magen eines Kannibalen.
    Der Fluß war böse. Warum ließ sich Francis trotzdem davon faszinieren? Warum war diese Bösartigkeit so reizvoll? »Wenn ich jetzt hineinspringe«, fragte er Luther, »würdest du meine Gebeine dem Institut übergeben?«
    Dann richteten sie ihre Aufmerksamkeit auf die Mauer. Sie war dreißig Meter hoch, genauso hoch wie die Korkenzieherfelsen. Sie konnten nicht feststellen, wie dick sie war, doch die Intuition sagte ihnen – dick und breit, breit genug, daß man mit Raumarchen darauf landen konnte.
    Die Mauer war alles, was der Fluß nicht war. Sie war schön, grau und still. Die massiven, ineinander verzahnten Steine waren von Meisterhand zusammengesetzt worden, und die Verbindungsstellen waren nicht zu sehen und so beschaffen, daß sie alle Zeiten überdauern würden.
    Eines stand fest – diese Mauer war nicht von Barbaren gebaut worden.

Dr. Tez Yon, deren Rasse die Mauer gebaut hatte, suchte nach einer

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