Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wein des Frevels

Der Wein des Frevels

Titel: Der Wein des Frevels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
Vom Netzwerk:
Pflanze. Die Sonne, einst UW Canis Majoris genannt und jetzt Iztac, kleckste ihr Licht auf dicke Blätter und knorrige Rinde, erreichte sogar den Boden, ein dichtesNetz aus nackten Wurzeln. Es ist schön, umdiese Zeit im Wald zu sein, dachte sie und erinnerte sich an ihre letzte Pflanzensuche vor zwei Epochen, wo Iztac merklich näher gewesen war und ihre Haut Blasen geworfen hatte wie ein alterndes Fresko.
    Normalerweise machte Tez sich nicht die Mühe, Iztac die Gaskugel von Iztac dem Quell der Erleuchtung zu unterscheiden – oder Iztac den Quell der Erleuchtung von Iztac dem Gott. Dies war die antidichotomische Tendenz der Quetzalianischen Philosophie. Die Quetzalianische Philosophie war gleichzeitig eine Religion – Zolmec – und eine Wissenschaft – die Biophotonik. Niemand hatte jemals von der Biophotonik gehört, bis Tez’ Kindheitsheldin, Dr. Janet Vij, sie erfunden hatte. Dr. Janet Vij sagte zum Beispiel: »Es ist viel arroganter, intuitives Wissen über das Heilige zu verbreiten als wissenschaftliche Erkenntnis über das Berührbare.«
    Zolmec gab zu, daß manche Dichotomien unvermeidlich waren – und sogar nützlich. Qualität versus Quantität. Die Zähne fallen einem aus versus die Zähne fallen einem nicht aus.
    Trotzdem gab Zolmec den säuberlichen Schismen der primitiven Zeiten – Kunst/Logik, Seele/Gehirn, Geist/Fleisch – die Schuld an allen Arten von Ignoranz – vor allem dem Gedanken, daß die physische Welt überschritten werden mußte. Immerhin – hatten Tez’ Erdenahnen ihre Meßgeräte nicht unbemerkt in das Atom selbst hineingeschmuggelt, Quark von Quark getrennt und das Göttliche Ultikel herauskristallisiert? Hatten sie nicht die mystische Qualität der Materie bewiesen und die Kluft zwischen Wissenschaft und Geistigkeit für immer geschlossen? Zolmec kannte nur wenige Tabus, aber es war ganz sicher tabu, die Dinge in Kästchen zu stecken.
    Heute fand Tez das Kästchen-Tabu zum erstenmal, seit sie denken konnte, sehr bedrückend. Dr. Mool ist Dogmatiker, überlegte sie. Aber wenn ich ihn so nenne, ordne ich ihn doch zweifellos in ein Kästchen ein, und dadurch betrachte ich ihn nicht mehr als ganzen Menschen. Und doch – ohne die Kästchen-Dogmatismen kann ich mir den schmierigen Bastard nicht einmal bildlich vorstellen.
    Der Wald wurde nun lichter, die Bäume gingen in Büsche über, und Mixtla, ihre scheue Stute, fand plötzlich Gefallen an der Bodenbeschaffenheit und langweilte ihre Herrin mit fröhlichen Sprüngen. Mixtla war ein Lipoca, eine sechsbeinige Spezies, die vom wilden Huanocez abstammte, das die Quetzalianer vor vielen Jahren domestiziert hatten. Der Lipoca glich der Kinderzeichnung von einem Pferd.
    Dr. Mool war raffiniert, sagte sich Tez. Er wird vom ganzen Personal des Chimec-Hospitals respektiert. Dr. Mool ist klug, und seine Weisheit behauptet, daß die Coyo-Wurzel die Lebensgeister meines Vaters von neuem erwecken und ihn gesund machen wird, sobald man sie in ein Serum umgewandelt hat.
    Aber Dr. Mool irrt sich, dachte sie.
    Unter Mixtlas Hufen schmolz der weiche Humusboden zu noch weicherem Sand zusammen. Wie Dr. Mool es prophezeit hatte, wuchsen zahllose Coyo-Blumen an der Grenze zwischen Wald und Wüste, und ihre fleischigen Blütenblätter ergötzten sich an der Mittagssonne. Tez stieg ab.
    Warum war Mool so versessen darauf, das Leben ihres Vaters einer so berüchtigten Pflanze wie der Coyo anzuvertrauen? Wie konnte er so sicher sein, daß die Warnungen in einem Dutzend antiker Texte, die Prognosen schlimmer Nebenwirkungen, unter anderem eines profunden Komas, nur ein Mythos waren? Hier ging es nicht um rückständige Ideen versus neue Erleuchtung, sondern um vernünftige Vorsicht versus arrogante Laune.
    Sie erinnerte sich, daß sie Mool auf den Eingangsstufen des Chimec-Hospitals über ihre Zweifel informiert hatte. Wie gewöhnlich hatte er nicht die Frage beantwortet, die sie gestellt hatte, sondern die Frage, die er beantworten wollte. »Wenn Ihr Vater weiterhin auf orthodoxe Weise behandelt wird«, sagte er mit seiner knurrigen Bärenstimme, »wird er vermutlich nie mehr zu gewissen motorischen Funktionen fähig sein. Aber wenn Sie ihn mir überlassen, wenn ich das Wissen nutzen kann, das ich mir über die richtige Anwendung der Coyo angeeignet habe – und Sie haben doch meine allgemein anerkannten Studien über die Dosierungspläne und die Keyta-Gegenwirkung in Chactols und Chitzals gelesen – wenn ich Ihren Vater also behandeln und all meine

Weitere Kostenlose Bücher