Der Wein des Frevels
Kenntnisse einsetzen kann, wird er aus diesem Haus tanzen.« Keyta war eine Nebenwachstumskultur, die einen Patienten auch aus dem tiefsten Koma reißen konnte.
»Diese Kombination wurde noch nie an einem Menschen angewandt«, sagte Tez und trat nach einem der steinernen Jaguarköpfe am Rand der Stufen. »Ich glaube, es ist nicht richtig, daß Sie die Möglichkeit einer Heilung durch Neurogestaltung ignorieren.«
»Und ich finde, daß Sie nicht ignorieren sollten, wer der Chefarzt dieser Klinik ist und wer als seine Untergebene fungiert.« Ende der Debatte.
Teot Yon war Steinmetz und ein Opfer seines Berufs. Wenn er nicht mit den universalen quetzalianischen Interessen – Tee, Schach und unablässige Konversation – beschäftigt gewesen war, hatte er in den östlichen Steinbrüchen gearbeitet und die Mammutblöcke herausgebrochen und geformt, aus denen sich die Stadt Aca zusammensetzte. Es war ein respektabler Beruf. Die Steinhauer genossen das gleiche Ansehen wie die Geistlichkeit. Und sie wurden auch verstümmelt.
Um einen Block aus der Felswand zu lösen, mußten sie seine Konturen perforieren und die tiefen Löcher mit Wasser füllen. Wenn das Wasser gefror, brauchte man nur noch einen Eisstab hineinzustecken, bis der Steinblock herauszusplittern begann. Es war ein beliebter Sport unter den Steinhauern, auf dem Block zu stehen, bis ein KRAACK zu hören war, und dann herunterzuspringen.
Ein seltsamer Zufall – dieselbe Sorte von Eisstäben, die man in den Steinbrüchen benutzt, wurde auch im Chimec-Hospital verwendet, um Hirngewebe zu gefrieren und zu verhindern, daß es während der Operation zu einem Blutsturz kam.
Tez lag auf den Knien, umklammerte den Stiel einer großen Coyo und zerrte daran, bis sich die Wurzel aus dem Erdreich löste. Die Wurzel war mit kleinen, fleischigen Schoten bedeckt. Als Tez die Pflanze zwischen den Falten ihrer Robe barg, kam sie sich vor wie eine Schlange – eine giftige Schlange, mit einer Droge ausgestattet, die sie eigentlich nicht gebrauchen wollte.
Aber sie würde die Coyo gebrauchen. Sie würde sich Mools Tüchtigkeit beugen, seiner Weisheit, seiner Reputation.
Aber seiner unheiligen Selbstsicherheit würde sie sich nicht beugen.
Für eine Erwachsene sah Tez Yon erstaunlich neu aus, bemerkenswert vital, und ihr Spieltrieb war unverbesserlich. Seit ihrem fünften Lebensjahr veranstaltete sie regelmäßig Marionettenaufführungen, und auf dieses Hobby wollte sie auch jetzt mit dreißig nicht verzichten. Der Titel ihrer letzten Produktion lautete >Gehen wir nackt durch den Regen<, und das Stück war nicht für Kinder bestimmt.
Sie war klein, als hätte sich ein voll ausgewachsener menschlicher Körper auf magische Weise um zehn Prozent reduziert, aber die Proportionen stimmten. Ihr Gesicht erweckte den Eindruck, als bestünde es aus einem viel härteren Stoff als Fleisch. Es war nicht geformt, sondern gemeißelt, Zentimeter für Zentimeter. Trotzdem wirkten die kantigen Linien nicht streng, weil sie durch volle Lippen gemildert wurden. Ihr Mund war unablässig zu einem spöttischen Lächeln verzogen, als würde er sich über den Schmerz amüsieren, der den anderen Gesichtszügen entging.
Abgesehen von ihren Puppen delektierte sich Tez an Wein und an Theorien aller Art, und an Tolcatagnachmittagen spielte sie Becherball. Sie war bis zu einem gewissen Grad schlampig und sah keinen Sinn darin, ihr Bett zu machen, da man, wie sie es ausdrückte, entweder darin schlief oder sich woanders aufhielt. An ihren Geburtstagen war sie traurig. Dies war eine Tradition, die bis in ihre früheste Kindheit zurückreichte, als sie ihre Geburtstagsfeiern ständig falsch interpretierte und gedacht hatte, daß sie nun sterben müsse. Warum sollte sich die Welt denn sonst so gewaltig anstrengen, um sie aufzuheitern?
Ihre erste Liebe gehörte der Wissenschaft. Nach den Vorschuljahren entwickelte sie das Bedürfnis, bei allen Dingen das Warum zu erkennen. Warum hatten Babys einen Babinski-Reflex, und warum verschwand dieser Reflex, wenn sie älter wurden? Warum leckten sich die Leute über die Oberlippe, wenn sie sich konzentrierten, und warum gab es so etwas wie Humor? Tez wollte das Licht begreifen. Sie wollte den Schlamm auseinandernehmen, Felsen entziffern und das Gras aus dem Boden lösen.
Als heranwachsendes Mädchen war sie nahe daran gewesen, die Darwinsche Erbtheorie zu entkräften, eine Doktrin, die auf ihre Erdenahnen zurückging. Die Darwinisten betrachteten die
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