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Der Wein des Frevels

Der Wein des Frevels

Titel: Der Wein des Frevels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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besser verstehen werden.«
    Knapp zwei Kilometer hinter dem Canyon breitete sich eine Oase in der Wüste aus wie eine riesige Schlingpflanze. Das war keine bloße Abnormität im Sand, dies war eine Welt für sich, ein dichtes Netzwerk aus Teichen, Wasserfällen, Felsblöcken, Halmen, Ranken, Früchten und Blumen. Die Geschlechtsorgane aller Blüten sahen wie Menschengesichter aus und waren auch genauso groß.
    Man konnte die Oase auf Wegen betreten, deren dicht verwobene Zufälligkeit vermuten ließ, daß ihre Schöpfer keinem Plan gefolgt waren, sondern nur ihrem Instinkt und ihrem Durst. Die gebildeten Bewohner von Luthers zivilisiertem Land kamen offenbar nicht hierher.
    Die Wissenschaftler parkten das Magnumauto unter einem großen, von vielen Fasern durchzogenen Blatt, das wahrscheinlich das Gewicht des Wagens getragen hätte, und dann folgten sie dem nächstbesten Pfad zu einer Lagune. Während sie auf Luther warteten, machten die anderen ein paar Fotos und atmeten die schwüle, feuchte Pflanzenluft ein. »Das erinnert mich an einen gräßlichen Jungen, den ich mal gekannt habe«, sagte Francis und deutete auf ein Gewächs aus Staubgefäßen und Pistillen. »Er hieß Robert Poogley.«
    Luther kam heran, stach mit einem Wistar-Stab in das helle Wasser und studierte die Lichtpunkte, Meßskalen und Lackmusplatten auf dem zwiebelförmigen Ende des Geräts. Der Stab verkündete, daß das Wasser kein Wasser war, sondern ein öliges Carlotta-Faksimile von Wasser. Francis ließ sich dazu herab, seinen Durst damit zu löschen. Seine romantische Ader begann sich zu regen. Da war er, Dr. Francis Lostwax, ein demnächst berühmter Entomologe, gefangen auf einem verborgenen Planeten, wo er nun einen märchenhaften Garten erforschte und eine vergessene Zivilisation suchte. Inspiriert wanderte er zu einem paradiesischen Fleckchen, wo ein kleiner, fröhlicher Bach wie ein Spielzeugwasserfall über den Rand eines würfelförmigen Felsblocks hüpfte. Rings um den Würfel wuchsen Klumpen aus büscheligen organischen Schirmen, die das einzige prosaische Attribut dieser Szenerie bildeten. Erschöpft sank Francis unter den größten Klumpen, und die Schirme schützten ihn vor der sengenden Sonne.
    Das sind zweifellos Bäume, dachte er, ebenso, wie ein Yorkshire-Terrier zweifellos ein Hund ist, so wenig er auch zum Ruhme dieser Spezies beitragen mag. Francis war ein Collie-Fan. Das nette Lächeln dieser Tiere gefiel ihm.
     
    Später begann die Welt sich zu regen und lebendig zu werden. Benommen und voller Angst erhob sich Francis. Und dann nahte das Grauen – von oben. Wie Würmerfrüchte, in Trauben, die sich aus dreien oder vieren zusammensetzten, lösten sich die dunklen, kreischenden Gebilde von den Bäumen.
    Eine Steinaxt in der Hand, raste ein Zweibeiner mit Zahnlücken heran. Francis spürte einen betäubenden Schlag auf der rechten Schulter. Sonderbarerweise brach der Knochen nicht auseinander. Aber ein zweiter Schlag, direkt auf seinen Mund, verursachte eine blutende Wunde.
    Er klammerte sich an dem Würfel fest, starrte die Wilden an. Es waren über zwei Dutzend, und sie sahen alle verwüstet aus, von Schmerzen gepeinigt und nur entfernt menschlich – eher wie Gorillas, die man als Baby in Stacheldraht gewickelt hatte. Ihre Augäpfel schimmerten in einem kränklichen Gelb, ihr Haar war von einem namenlosen Morast bedeckt, und zwischen den verfaulten Lippen floß unkontrollierbarer Speichel hervor.
    Irgendwie gelang es Francis, seine Verwirrung und seinen Schmerz zu bewältigen und zum Pfad zu fliehen. Schirme flogen an ihm vorbei, als er von einem Teich zum anderen sprang und verzweifelt versuchte, aus diesem Irrgarten herauszufinden. Endlich tauchte die Poogley-Pflanze vor ihm auf und wies ihm den Weg zur Wüste. Als er das Magnumauto erreichte, blickte er auf und sah zwei willkommene Gestalten, die ihm entgegeneilten. Burnes Gesicht war vor Wut verzerrt, und Luthers Züge waren gezeichnet von den Schmerzen, die ihm seine überstrapazierten Lungen bereiteten. Fünfzig Wilde stürmten hinter den beiden her.
    »Lostwax – der Mikrocomputer!« stotterte Burne mit einer Stimme, die zwischen Panik und Entschlossenheit schwankte.
    Gehorsam riß Francis die Sichtblase auf und sprang ins Auto. Er drückte auf die entsprechenden Tasten, seine Freunde kamen angestürmt, und Burne schob Luther auf den Rücksitz.
    »Wo ist Kappie?« fragte Burne.
    Francis wollte gerade stöhnend erwidern, daß er es nicht wüßte, als plötzlich

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