Der Wein des Frevels
Theater und sahen »Stellvertretend Siebzehn, Stellvertretend Zwanzig und Stellvertretend Sechsundzwanzig«. Alle Episoden handelten von den heroischen Versuchen einer quetzalianischen Familie, eine Fußbrücke zwischen Luta und dem nächsten Asteroiden zu bauen, ein Projekt, das offenbar von jeder Folgegeneration fortgesetzt wurde, so daß sich der Zuschauer nach etwa zwanzig Episoden wie eine unsterbliche Präsenz zu fühlen begann, unaufhörlich wiedergeboren, während sich die Story durch Geburten und Todesfälle, Leben und Lieben, Kriege und Friedenszeiten, dunkle Epochen und helle Tage vorankämpfte. Francis verbrachte die erste Hälfte von »Stellvertretend Sechsundzwanzig«, indem er lauthals die Meinung kundtat, diese Leute würden ihre gottverdammte Brücke niemals bauen, und danach schlief er ein.
Die Marionettenaufführungen gefielen ihm besser. Als »Der Planet der austauschbaren Genitalien« in einem winzigen Kabarett unter einem verborgenen Korridor in der Iztac-Bibliothek Premiere feierte, war Francis’ einzige lauthals verkündete Meinung ein schallendes Gelächter. Danach führte er Tez in das Restaurant, das sich auf Tentakel spezialisiert hatte. Ein Geiger spielte auf, und sie bestellten Kuttelfisch.
Während Francis mit einem Tentakel spielte, fragte er, warum der quetzalianische Pazifismus nicht verhindere, daß Tiere geschlachtet würden.
»Darauf weiß ich keine gute Antwort.« Und Tez fügte hinzu, daß Huacas nächstes Debattenthema »Die Quetzalianer sollten Vegetarier werden« lautete.
»Auf welche Seite wird er sich stellen?«
»Darüber ist er sich noch nicht im klaren. Er versucht gerade herauszufinden, ob Pflanzen irgendwas fühlen.«
»Käfer fühlen schon was. Da bin ich mir ganz sicher.«
Tez antwortete nicht und warf ihm statt dessen eine Kußhand zu. Es war seine süße Albernheit, die sie in erster Linie liebte. Die Quetzalianer wurden dazu erzogen, nur das Allerschlimmste von den Abkömmlingen der Eden Zwei anzunehmen: Sie waren gefühllose Barbaren und kannten kein Zolmec. Aber da saß ihr dieses aufregende lebende Paradoxon gegenüber.
Tez hatte Paradoxa schon immer geliebt. Das entsprach ihrer wissenschaftlichen Neigung.
Während das Liebespaar seine Ausflüge unternahm, war ein Aspekt von Quetzalia – der Tempel von Tolca – bemerkenswert unsichtbar geblieben. Und als die Opoche zu Ende ging, als die nächste anbrach, als Tez zum Zolmec-Gottesdienst ging und mit rosigem Gesicht zurückkehrte, erkannte Francis, daß er von jenem Phänomen befallen war, das sein Vater als »Erektion des Neugierorgans« bezeichnet hatte. Viermal bat er Tez, die nächsten Riten besuchen zu dürfen, aber sie zog es vor, sich an Vaxcalas Gebote zu halten.
Die Wortgefechte glichen einander.
»Ich möchte mit dir gehen«, nörgelte Francis.
»Die Nerdenatheisten dürfen den Tempel von Tolca nicht betreten.«
»Und wenn ich trotzdem hingehe?«
»Ich kann dich nicht zurückhalten«, erwiderte Tez und hielt ihn mit der Unverletzlichkeit ihrer Haltung zurück.
»Es ist keineswegs so, daß ich nicht an Tolca glaube, Tez. Oder an Chimec. Oder an diese andere…«
»Iztac.«
»Der Gedanke, pazifistische Götter zu verehren, entzückt mich sogar. Als kleiner Junge sagte ich mir immer: Ein Mord ist schrecklich, egal, wer ihn begeht, egal, wer das Opfer ist. Wenn ich jemals Regeln aufgestellt hätte, dann würde niemand, der getötet hat, nicht einmal Götter oder Heilige oder Generäle bewundert werden. Du siehst, ich hatte also schon quetzalianische Ideen, lange bevor ich hier landete. Du solltest mich zumindest als Agnostiker bezeichnen.«
»Sehr schön«, entgegnete Tez kühl. »Aber Nerdenagnostiker dürfen den Tempel auch nicht betreten.«
Weiter führten diese Gespräche nicht, und Francis’ Erektion blieb unerlöst.
Die quetzalianischen Blumen setzten Francis immer wieder in Erstaunen. Sie mußten sich mit einer verwirrenden Vielfalt von Nöten herumschlagen, von exotischem Mehltau über Temperaturstürze bis zu indifferenter Wartung, und sie leuchteten dennoch unaufhörlich mit ihren hellen Blütenblättern und strotzten von Vitalität. Francis widmete sich im Olo-Garten gerade einer indifferenten Pflege mittels einer Gießkanne, als eine berittene Botin auftauchte. Ein robustes Kind, noch keine zwölf Jahre alt, und ihre Behendigkeit ängstigte Francis. »Wo ist Dr. Tez Yon?« verlangte sie zu wissen und glitt geschmeidig von ihrem Lipoca. »Das ist vom
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