Der Wein des Frevels
Chimec-Hospital.« Sie schwenkte einen mit Wachs versiegelten Brief.
»Ich will es ihr geben«, erwiderte Francis und fing das Schreiben ein. Tez war im Haus und nahm Transplantationen an ihren Marionetten vor.
Die Botin stieg wieder auf, in einem einzigen geschickten Sprung. Bevor sie aus dem Hof ritt, wandte sie sich um und musterte Francis mit Augen, die plötzlich eine überraschende Zärtlichkeit ausstrahlten. Und als sie sprach, war der dünkelhafte scharfe Ton aus ihrer Stimme gewichen. »Ich glaube, es ist eine traurige Nachricht.«
Francis betrat Tez’ Bastelstube, wo sie gerade versuchte, einen Narrenkopf auf einem halslosen Körper zu befestigen. Sie erbrach das Wachssiegel, las die Nachricht und senkte den Kopf. Francis ergriff das Blatt und las: »Tez, Teot Yon liegt im Koma. Mool.«
Sie liefen zu ihren Lipocas, sattelten sie, stiegen auf und galoppierten davon. Die Hacyonstraße führte geradewegs in die Innenstadt. Als sie die große Plaza erreichten, begegneten sie einer Versammlung, die so aussah, als wolle die gesamte Bevölkerung von Tepec den Iztac-Tempel stürmen. Das Liebespaar trieb seine Lipocas mitten hinein in den Mob, bahnte sich einen Weg. Wie betäubt vor Sorge konnten Francis und Tez diesen Tumult nicht ganz begreifen, doch die ekstatischen Gesichter und die Stimmen, die »Der Gehirnfresser ist tot!« und »Newman ist beim Gouverneur!« schrien, verrieten ihnen, daß Burne wohlbehalten und siegreich zurückgekehrt war. Als sie die Tiere vor den Stufen des Hospitals zügelten, blickte Francis zum Damm hinab und sah, daß der Iztac-Tempel von Bürgern wimmelte, von der ersten Terrasse bis hinauf zur Spitze. Vermutlich steckte Vaxcala im Zentrum des ganzen Trubels, und aus diesem Ameisenhaufen, aus dieser sprudelnden Lebensmasse stiegen so glückliche Hymnen auf, daß Francis sich ganz elend zu fühlen begann. Er stieg ab.
Alle, die gehen konnten, hatten das Hospital verlassen. Tez und Francis eilten durch Fresko-Korridore, vorbei an Räumen, die verlassen waren, abgesehen von den Gelähmten und Sterbenden, bis sie schließlich in einem fahlen Zimmer standen, das nach nichts roch.
Mool stand da. Demütigung und das Bewußtsein seiner Niederlage zeichneten sich in ungewohnter Weise auf seinem Gesicht ab.
»Vielleicht ist es nur vorübergehend«, begann er mit brüchiger Stimme. »Aber jetzt ist es genauso, wie Sie es gesagt haben. Soviel ich mich erinnere, lauteten Ihre Worte: >Wenn man an einem Tier einen Pflanzentest vornimmt, erfährt man nur, wie das Tier darauf reagiert hat. Daraus kann man keine Schlüsse auf die Reaktion eines Menschen ziehen.<«
»Haben Sie meinen Bruder benachrichtigt?« war Tez’ einzige Entgegnung. Mool schaffte es, mit überraschend wenig Aufwand ja zu sagen.
Tez hatte Francis alles über Teot Yom erzählt. Er wußte Bescheid über die unerschöpflichen Kräfte dieses Mannes, über einen privaten Scherz, der von einer Tante und einer Angelrute handelte, über die sehnigen Muskeln, die Granit zum Gehorsam zwangen.
Nichts von diesem Wissen hätte man angesichts der kaum atmenden Gestalt erahnen können, der er sich nun gegenübersah. Teots Mund war ein eingesunkener Schlitz, die starren Augen hatten sich weit geöffnet, die Haut erinnerte an feuchte Äpfel. Francis hatte sich oft ausgemalt, wie er diesen Mann kennenlernen, seine energische Steinhauerhand schütteln und sagen würde: »Ich möchte Ihnen danken, weil Sie Ihr Vorhaben in jener Nacht, als Sie Tez zeugen wollten, verwirklicht haben.« Und nun verflogen diese herzerwärmenden Phantasiebilder wie schlecht gezielte Becherbälle.
»Ich hatte keinen Grund zu glauben, daß das Gegenmittel versagen würde«, fuhr Mool zu lamentieren fort. »Ich hatte sogar vor, selbst Coyo zu trinken, aber…«
»Ich glaube Ihnen«, antwortete Tez mechanisch und berührte ihn am Ellbogen. »Ich verzeihe Ihnen.« Die beiden Ärzte hielten ihre Stellung, brachten ihr gegenseitiges Mitgefühl durch Blickkontakt zum Ausdruck. Mool spürte Tez’ große Angst und bemitleidete sie. Tez spürte Mools großes Schuldbewußtsein und bemitleidete ihn ihrerseits.
Als sich der ältere Arzt zur Tür wandte, beschloß er, Francis’ Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen. »Hallo, Lostwax. Wie ich sehe, ist Ihr Haar wieder nachgewachsen.«
»Gehen Sie zum Teufel«, entgegnete Francis.
»Wie Sie wünschen. Aber ich denke nicht, daß ich ihren Vater vernachlässigt habe. Ich gehe jetzt zum Fest, aber wenn Sie mich bitten
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