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Der Wein des Frevels

Der Wein des Frevels

Titel: Der Wein des Frevels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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gering, um eine Rolle zu spielen.
    Zwei Tage später begann er Roggenbrot zu vermissen. Im König reich des Himmels gab es kein Roggenbrot.
    Und am nächsten Tag sehnte er sich nach obszönen historischen Marathon-Spektakeln. Er bekam feuchte Augen, wenn er an Mutter Mochas Milchshakes dachte. Und bald würde es soweit sein, daß er einen Mord beging, nur um das Galileo-Institut mit seinem glänzenden Plastikgras wiederzusehen, wo alles so ordentlich war, und sein gemütliches kleines Büro, wo alles genau an der Stelle war, wo er es haben wollte, wo die vielen Bücher, die ihn geformt hatten, der Welt den Rücken kehrten.
    Die natürlichen Schönheiten der Nerde waren längst verschüttet, aber die Zivilisation, die auf ihren Gräbern wuchs, besaß ihre eigene Romantik. Francis wollte wieder einmal mit Jack August in der Kurzen Kerze sitzen, seiner Lieblingsbar, und das Elend der Welt im Bier ertränken, während sich Jazz-Klänge durch den Zigarettenrauch schlängelten, zwischen schreienden Banalitäten. Und er wollte zu einer Halloween-Party gehen und sich fürchten.
    Tez behandelte Francis’ Heimweh, indem sie logische Bemerkungen über die Tugenden Quetzalias von sich gab, aber der Krankheit ansonsten ihren Lauf ließ. Allein schon ihre Anwesenheit bewirkte eine deutliche Besserung.
    Wenn er Zettel mit Tez’ Handschrift herumliegen sah, empfand er eine intensive Freude. Wenn er beobachtete, wie sie einen Flauschmantel zuknöpfte oder eine alberne Wollmütze in ihre Stirn zog, bevor sie in die Spätsommerluft hinausging, lernte er ein Gefühl uneingeschränkter Zufriedenheit kennen. Die Dinge, die sie berührte, wurden zu Talismanen. Ihre Marionetten waren verzaubert, ebenso wie ihre Kämme und ihr Stundenglas oder ein Buch, welches sie sich auch immer aus der Iztac-Bibliothek geholt hatte.
    Die Worte flossen mit perfekter Leichtigkeit zwischen ihnen hin und her, vor allem wenn sie über die Wissenschaft sprachen. Sie diskutierten über die Astrophysik des Malnovischen Gürtels, über die Ökologie des Planeten Kritonia, über die medizinischen Traditionen von Quetzalia. Wie Francis nun erfuhr, waren die Behandlungsmethoden auf der Nerde hauptsächlich allopathisch, konfrontierten die Krankheiten mit ihren natürlichen Feinden, während das Chimec-Hospital Homöopathie praktizierte und giftige Pflanzen verabreichte, die Symptome in gesunden Leuten produzierten und Gesundheit in Leuten, in denen bereits Symptome aufgetaucht waren. Dabei kam es auf möglichst kleine Dosierung an.
    Im Galileo-Institut hätte man eine solche klinische Forschungsarbeit zugunsten der Labors verachtet. Man züchtete Keime, studierte sie und experimentierte mit ihnen in völliger Isolation – das war wunderbar, aber sobald sie einen Menschen infizierten, verlor man jedes Interesse an ihnen. Nach Francis’ Meinung war es gut und richtig, sich diesem unpraktischen Wissen zu verschreiben, diesen Theorien, die keine andere Verantwortung hatten, als wahr zu sein. An guten Tagen führten die neuen Ideen den menschlichen Geist zu jenem großen Verständnis, das als Stolz und Freude aller Wissenschaften fungierte. Solche Ideen schenkten einem viel mehr als die Antworten Gottes. Sie geleiteten den Menschen in Gottes privates Arbeitszimmer und zeigten einem Seinen Notizblock.
    Tez pflichtete ihm bei. Seit ihrer Schulzeit war sie der Verführung reiner Forschungsarbeit erlegen. Ihr Bericht über die Zucht der Chactol-Augen raubte Francis den Atem. »Diese Experimente müssen wiederholt werden«, erklärte er, wenn sich auch herausstellte, daß er nicht der Richtige für diesen Job war. Es gelang ihm nicht einmal, eine einzige Generation ans Licht der Welt zu holen, die am nächsten Morgen noch lebte.
     
    Nachdem sein Heimweh kuriert war, konnte Francis das Land Quetzalia endlich so sehen, wie es wirklich war, weder als Gefängnis noch als Shangri-La, sondern als unvollkommene Erde, von andersartigen Lämmern geerbt. Tez genoß es, ihm den Planeten zu zeigen. Sie besuchten zusammen ein Restaurant, das sich auf Tentakel-Gerichte spezialisiert hatte, eine Galerie, die pornographische Polstermöbel ausstellte, eine Hochschule, wo sexbesessene Jugendliche ihre Jungfräulichkeit unter kontrollierten Bedingungen verlieren konnten, und ein Theater, in dem Episoden eines unendlichen Stücks namens »Stellvertretend« aufgeführt wurden.
    »Stellvertretend« erwies sich als eher schlichte Kost. Francis und Tez wurden kapriziöse Stammgäste in diesem

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