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Der Wein des Frevels

Der Wein des Frevels

Titel: Der Wein des Frevels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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hierzubleiben, werde ich das tun.«
    »Verschwinden Sie«, zischte Francis leise.
    Sie saßen eine Stunde lang bei dem bewußtlosen Mann.
    Tez erzählte Teot, sie wüßte, daß er sie hören könne, obwohl sie das nicht wußte, und daß sie ihn liebte, was sie genau wußte. Sie versuchte noch mehr zu sagen, doch das verhinderte ihre Verzweiflung. Francis hielt sie in den Armen, und ihr Schluchzen war so regelmäßig wie Herzschläge. Ein heller Jubelschrei erhob sich vom Iztac-Tempel.
    Als sie ins Tageslicht zurückkehrten und die von Jaguars flankierten Stufen hinabstiegen, merkte Francis, daß er wütend war. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß Mool etwas daraus gelernt hat.«
    Tez war nicht in der Stimmung für Gespräche. »Was erwartest du von mir? Daß ich ihn erwürge?«
    »Das alles ist mir schon einmal passiert. Eine Krankenschwester hat meinen Sohn getötet, und ich habe genau das getan – ich bin ihr an die Gurgel gesprungen. Es gibt gewisse Augenblicke, in denen man einfach aggressiv sein muß.«
    Tez schwang sich in Mixtlas Sattel. »Ich weiß nichts von diesen Augenblicken.«
    Der Abend kam – aber kein Appetit. Tez und Francis betraten den Salon mit den Gobelins, verloren sich zwischen Wein und gewobenen Drachen. »Seltsam«, sagte sie, »daß Huaca nicht gekommen ist, regt mich viel mehr auf als der Tod, den mein Vater erleiden wird.«
    »Vielleicht ist er gekommen, nachdem wir gegangen sind.«
    »Nein«, widersprach sie entschieden. »Eines Tages wird dieser Mann erstaunt feststellen, daß außerhalb seines summenden Kopfes eine ganze Welt vorbeimarschiert.«
    Francis drückte auf seine Chitzal-Narbe. »Ist dein Vater nicht mehr zu retten?«
    »Ich habe so etwas schon erlebt. Eine unbekannte Pflanze geriet außer Kontrolle, man gießt Ksyta darauf, aber es ist sinnlos. Das Gehirn verschließt sich – eine Synapse folgt der anderen…« Sie gurgelte mit ihrem Wein. »Das müßten glückliche Zeiten sein, Francis – nachdem dein Freund gesiegt hat. Die Menschen sind eine launische Spezies. Meine ganze Rasse ist gerettet – aber ich weine, weil… Welcher Chitzal betrauert den Tod seines Vaters.«
    »Ja«, sagte Francis mit ruhiger Stimme. Es fiel ihm nichts anderes ein, als ihrer Verwirrung zuzustimmen. »Wir Menschen sind launisch.«
     
    So betrüblich eine Familientragödie auch war, sie konnte keinen Quetzalianer davon abhalten, einen Zolmec-Gottesdienst zu besuchen. Am nächsten Abend schlang Tez das Essen in sich hinein, dann stürmte sie im Haus umher, auf der Suche nach ihrer Mütze und dem Umhang. Dann verabschiedete sie sich von Francis, der gerade im Hallenbad auf dem Rücken schwamm. »Ich gehe jetzt.«
    »Ich habe einen besseren Plan. Komm herein, und wir spielen Marinebiologie.«
    »Nein, heute abend ist es ganz besonders wichtig, daß ich gehe.«
    »Warum?«
    »Mools Arroganz hat gestern ihren Gipfel erreicht, und ich muß ihn in der Kirche sehen.«
    »Damit du ihm offiziell verzeihen kannst?«
    »Hör auf, mich zu quälen.«
    »Ich wollte dich nur aufheitern.«
    »Zolmec wird mich aufheitern.«
    »Wie kannst du einem solchen Schurken vergeben?«
    »Mool ist kein Schurke«, erwiderte Tez brüsk und rannte zu den Ställen hinaus. Francis hörte, wie sie Mixtla in den Hof führte. Das Wasser fühlte sich kalt an, kalt wie die Luft und die Liebe seines Lebens.
    Er stieg aus dem Becken, zog sich hastig an, packte die nächstbeste Öllaterne und erreichte den Hof gerade noch rechtzeitig, um Tez und Mixtla einen Torbogen passieren zu sehen, über dem aus Holz geschnitzte Buchstaben aufragten. Wenn jemand draußen auf der Straße vorbeiging, las er OLO-SEMINARZENTRUM. Von der Stelle aus betrachtet, wo Francis stand, lautete die Inschrift: MURTNEZRANIMES-OLO, in der Juxsprache irgendeiner vergessenen Rasse.
    Verdammt soll ihr zweites Leben sein, dachte Francis, als er seinen Lipoca brutal aus dem Schlaf riß, durch den Hof zerrte und in die Nacht ritt. Verdammt…

Die Nacht war voller Laternensterne. In seiner weißen Robe verschmolz Francis so mühelos mit den Pilgern wie eine Sumpfblattlaus mit der Baumrinde. Sie ritten die Halcyonstraße hinauf, über den Stadtrand hinaus, in die Wälder, und ihre Zahl wuchs und wuchs. Als die Mauer in Sicht kam, erstreckte sich ein Strom aus Laternenlichtern endlos in beide Richtungen, ein strahlender Zwilling des düsteren Burggrabens auf der anderen Seite.
    Ein heftiger Wind kam auf, erfaßte die Roben, blähte sie wie Segel, so daß sich die

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