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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Toilette«, sagte Lev.
    »Ja, freut mich, dass es Ihnen aufgefallen ist. Hab ich alles selbst eingebaut. Das ist mein Beruf: Klempner. Aber jetzt arbeite ich als Freiberufler − wie man so sagt, wenn man mehr oder weniger arbeitslos ist. Bin nicht mehr regelmäßig zur Arbeit, nachdem Angela gegangen war. Aber wenigstens können wir in schöner Umgebung scheißen. Ich besorg mal ein Handtuch.«
    Christy ging weg, und Lev hörte, wie er einen Schrank in einem anderen Zimmer öffnete. Lev sah auf den Miniaturkaufladen aus Plastik neben dem Miniaturhaus. Auf einem Schild an der Ladentür stand: Hallo! Mein Laden ist geöffnet .
    Christy kam zurück und reichte Lev ein grünes Handtuch. »So«, sagte er, »jetzt sagen Sie mir Ihren Vornamen.«
    »Meinen Namen?«
    »Ich heiße Christy. Ich bin Ire, falls Ihnen das entgangen sein sollte. Getauft bin ich auf den Namen ›Christian‹, aber das war zu viel, als Bürde zu schwer, wenn Sie verstehen, was ich meine? Aber ›Christy‹ geht in Ordnung. Nennen Sie mich einfach so.«
    »Ja«, sagte Lev. »Und ich bin Lev.«
    »Schön«, sagte Christy. »So, Lev, und jetzt mach ich uns eine Kanne Tee, und dann können wir das Finanzielle regeln. Die Bedingung lautet: eine Monatsmiete im Voraus, oder, wenn Sie das nicht sofort schaffen, bin ich mit zwei Wochen zufrieden.«
    »Ich nehme zwei Wochen«, sagte Lev.
    »Das ist okay. Damit kann ich leben, Kumpel.«
    Lev zählte ihm die Scheine vor: fast alles Geld, das er im Augenblick besaß. Wieder musste er daran denken, wie Rudi ihm versichert hatte, mit zwanzig Pfund die Woche werde er leben können. »Ich weiß Bescheid über die Welt«, hatte Rudi häufig gesagt. »Ich gucke die Nachrichten nicht nur, ich interpretiere sie. Meine Urteile sind durch stundenlange zusätzliche Lektüre gestützt.« Lev wusste auch, dass Rudi über die neunzigPfund diskutiert und Christy höchstwahrscheinlich dazu gebracht hätte, die Miete um ein paar Prozent zu reduzieren, aber er, Lev, war zu solchen Auseinandersetzungen nicht in der Lage. Und er war froh, dass er Christy Slane gefunden und ein Kinderzimmer bekommen hatte. Er war weder zu verklemmt noch zu stolz, um sein Haupt auf einen Kissenbezug mit Giraffen zu legen.
    »Ich sage nur: Habt Mitleid mit den Männern«, erklärte Christy, während sie Tee tranken. »In diesem Jahrhundert machen die Frauen uns zur Schnecke, das Gefühl hab ich jedenfalls.«
    »Ja?«, sagte Lev.
    »Ich gebe ja zu, dass es mit dem Trinken schlimm wurde, und so phantastisch ist es auch nicht, mit mir zusammenzuleben, wenn ich so bin. Das Trinken bringt das Übelste in mir raus. Und etwas Übles steckt in jedem Mann − und jeder Frau −, das ist die Natur des Menschen. Aber die meiste Zeit bleibt es drinnen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Die meiste Zeit gucken Sie nicht auf einen dampfenden Misthaufen.«
    Lev nickte. Beide rauchten, und die Kippen in dem billigen Aschenbecher türmten sich.
    »Deshalb habe ich auch Mitgefühl mit Angela«, fuhr Christy fort. »Ich kann auch ihren Standpunkt verstehen. Aber dann wird sie so gemein. Wissen Sie was? Sie erklärt mir, dass ich eine Null bin. Und das erzählt sie mir vor meiner Tochter Frankie. Dann redet Frankie nicht mehr mit mir, ich darf ihr keinen Gutenachtkuss mehr geben. Ich geh da rein − in Ihr Zimmer −, und sie dreht den Kopf weg. Ich nehme eins von ihren Plüschdingern, und ich sage: ›Guck mal, Frankie, Sammy, der Clown, will, dass du Papi gute Nacht sagst ...‹ Zum Heulen war das, weil sie nicht reagiert. Sie zieht sich die Decke über den Kopf, als wenn ich ihr wehtun wollte. Und ich habe ihr nie wehgetan. Das schwöre ich bei Gott. Es war nur Angelas Schuld, dass sie sich so benommen hat.«
    Lev nickte. Er merkte, dass es Christy im Grunde egal war, ob Lev verstand, was er sagte. Vielleicht fällt ihm das Reden ja sogar leichter, dachte er, wenn er weiß, dass ich nichts verstehe. Denn jetzt, wo er anfing, von seinem gegenwärtigen Leben zu erzählen, schien er gar nicht mehr aufhören zu wollen. Und Lev störte es nicht. Er begriff allmählich, dass die Einsamkeit des Iren fast so groß war wie seine eigene. Sie waren etwa gleich alt. Beide sehnten sie sich in eine Zeit zurück, in der es die Menschen, die sie liebten, noch gab.
    »Was für eine Schlamassel«, seufzte Christy. »Ob das je wieder in Ordnung kommt? Ich fürchte, nicht. Ich glaube, Angela hat mich am Haken. Ich gehe zu Frankies Schule, in der Pause, und ich sehe sie auf dem

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