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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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kaltem Braten serviert.«
    »Ich bin verwirrt ...«
    »Egal, macht nichts. Aber worum es in dem Stück geht, sind die extremen Formen, die das Begehren annehmen kann. Es geht um die totale Unbegrenzthaftigkeit der menschlichen Einbildungskraft.«
    »Ist ›Unbegrenzthaftigkeit‹ ein Wort, Sam?«, fragte Sophie.
    »Egal. ›Grenzenlosigkeit‹. Irgendwie so. Ich weiß es verdammt noch mal nicht. Egal. Peccadilloes ist jedenfalls ein bahnbrechendes Stück.«
    Alle schwiegen. Sam Diaz-Morant rückte das paillettenbesetzte Gummiband ihres Babyhuts zurecht.
    »Entschuldigung«, sagte Lev. »Jetzt weiß ich nicht ...«
    »Na ja«, sagte Sam. »Das ist ziemlich komplex. Reden Sie mit Andy. Der hat eine eigene These dazu. Er wird es Ihnen erklären.«
    Sam ließ ihn stehen, und Lev blickte zu Sophie, die, wie er feststellte, ihm nicht in die Augen sehen mochte. Sein Wodkaglas war leer, und plötzlich lösten die Hitze und der Lärm in dem Pub ein trostloses Beben in seinem Herzen aus. Er setzte das leere Glas ab.
    Sophie erwiderte nervös seinen Blick. »Sam und Andy sind lustig«, sagte sie betont heiter. »Das wirst du noch merken, Lev.Sie sind ehrgeizzerfressene Wahnsinnige, aber sie sind auch nette Kumpels. Das wird bestimmt lustig heute Abend.«
    Sophie streckte die Hand aus und streichelte Levs Wange, und die unerwartete Berührung in seinem Gesicht überraschte und tröstete ihn gerade so weit, dass sein Wunsch verschwand, weit weg von hier, draußen auf der kalten Straße zu sein. Er nahm Sophies und sein eigenes Glas und machte sich auf den Weg zur Bar und setzte die beiden Gläser dort ab. Er zog sein Portemonnaie heraus. Der englische Preis für Wodka schockierte ihn jedes Mal von Neuem, wenn er ihn hörte.
    Er bemerkte, dass er neben Andy Portman stand. Portman trug eine Lederjacke, die Levs sehr ähnlich sah. Lev starrte ihn an. Dann sagte er: »Sam sagte mir, Sie werden Ihr Stück erklären.«
    »Mein Stück erklären?«
    »Sie sagte, Sie haben eine ›These‹.«
    »Eine These? Sie meinen, über das Theater?«
    »Ich weiß nicht ...«
    Andy seufzte, während er sein ausgebeultes Portemonnaie nach Kleingeld durchwühlte. »Irgendwie bin ich es leid, das alles zu erklären«, sagte er, »aber ich gebe Ihnen eine Kurzfassung, falls Sie wollen. Okay?«
    »Klar«, sagte Lev.
    Andy steckte das Wechselgeld vom Barkeeper ein und nahm einen Schluck von seinem Bier. »Stellen Sie sich die Gesellschaft als ein Haus vor«, sagte er.
    »Ein Haus?«
    »Genau.« Andy wischte sich mit dem Handrücken Schaum von den Lippen, trocknete die Hand an einem kleinen Handtuch ab, das auf der Theke auslag. »Ein Haus. Mit den üblichen Räumen: Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche usw. Okay?«
    »Ja.«
    »Nun, das britische Drama der 1950er saß im Wohnzimmer fest − oder im Salon , wie die Leute gern sagten. Alles war schicklichund unausgesprochen und höflich und voller Lügen. Dann, in den 1960ern, wanderten die Stücke in die Küche. Wesker, John Osborne, David Storey und so weiter. Wir hatten Ehrlichkeit. Wir hatten Arbeiterklassen-Gefühl. Dann kroch alles ins Schlafzimmer. Haben Sie jemals Pinters Betrogen gesehen?«
    »Nein.«
    »Okay. Aber Sie haben davon gehört. Sie können mir folgen?«
    »Nicht gut ...«
    »Dann mache ich es einfach. Ich wollte eigentlich über Stoppard und Frayn und ihr intellektuelles Universum extemporieren, über die Schlaumeiermode, das Stück außerhalb der gesellschaftlichen und häuslichen Sphäre anzusiedeln, aber das passt alles nicht besonders in meine Analogie − und Sie würden es sowieso nicht kapieren, oder?«
    Lev sagte nichts. Er fühlte sich hilflos und unwissend. Andy Portmans Augen wanderten die ganze Zeit unruhig dorthin, wo Sophie und Samantha mitten in der lärmenden Menge standen, und kehrten nur widerwillig zu Lev zurück.
    »Merken Sie, worauf ich mit diesem Hausding hinauswill?«, fragte er. »Können Sie mir sagen, welcher kleine Raum auf der britischen Bühne noch nie richtig besichtigt wurde?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Na, denken Sie doch mal nach. Natürlich die Toilette. Was wir auch Klo nennen. Sie kennen dieses Wort?«
    »Ja.«
    »Gut. Nun, ich finde, es wird Zeit, dass wir da hineinschauen. Es wird Zeit, dass wir mutig den Dreck anschauen, der nie weiter als ein oder zwei Zimmer entfernt von uns ist − oder, mit anderen Worten, in uns selbst. Finden Sie nicht, wir sollten das tun?«
    In diesem Moment kam der Barkeeper, und Lev bestellte zwei Wodka. Er bemerkte, dass die

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