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Der weite Weg nach Hause

Der weite Weg nach Hause

Titel: Der weite Weg nach Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Lev. »Fleisch war weg.«
    »Und was war mit dem Kopf? Habt ihr ihn gefunden?«
    »Nein. Aber Stückchen von Knochen. Wir glauben, er hat Gewehr unter Kinn gehalten, hier, und seinen Kopf weggeschossen.«
    Christy stand auf und ging zum Fenster. Er sah auf die Belisha Road hinaus, wo ein Polizeiwagen mit Blaulicht und schrillender Sirene vorbeiflimmerte. Dann drehte er sich wieder zu Lev um und sagte: »Und wer war das? Habt ihr jemals rausgefunden, wer das war?«
    Lev seufzte. Er sagte: »Das war ich.«
    Christy starrte Lev an. Man konnte hören, wie der Polizeiwagen auf der Junction Road Richtung Archway beschleunigte. Christy wollte gerade den Mund zu einer weiteren Frage öffnen, da sagte Lev: »Rudi wusste, dieser tote Mann war da. Ein Oberst oder General aus Kommunistenzeit vor der neuen Ära in unserem Land. Und dieser Oberst oder General, er konnte keinen Fortschritt mehr in seinem Leben machen. Er war zu Ende. Er lag in der Höhle − wie ich in meiner Hängematte liege − und aß Essen aus Dosen. Und als Dosen ausgingen, schoss er seinen Kopf weg.«
    Christys Hände zitterten, als er sich eine neue Silk Cut ansteckte. Nach einer Weile sagte er: »Dieser Typ, dein Rudi, der schreckt auch vor gar nichts zurück, wenn er was klarmachen will, oder?«
    »Ja«, sagte Lev. »Aber er half mir. Von dieser Zeit lag ich nicht mehr in Hängematte.«
    »Ach«, sagte Christy mit einem Seufzer, »das ist schön. Geschichten vom Überleben sind immer schön zu hören.«
    Sophies Freundin Samantha war spindeldürr und hatte weißblondes, jungenhaft geschnittenes Haar. In dem lärmenden Pub trug sie ein kurzes, tief ausgeschnittenes schwarzes Kleid und violette Schlangenlederstiefel. Alle nannten sie Sam. Sophie erzählteLev, Sam Diaz-Morant sei im Begriff, ein berühmter Name in der Welt der Hutmacher zu werden. Ihre jüngsten Kundinnen seien die Prinzessinnen Beatrice und Eugenie.
    »Ja?«, sagte Lev.
    »Ja«, sagte Sam. »Arme Würmer sind das. Sie tun alles, um schön zu sein, aber kaum jemand unterstützt sie dabei, außer mir.«
    Sophie, die Jeans und einen engen cremefarbenen Pullover trug, erklärte Lev, die meisten Hüte von Sam seien Miniaturen, so wie der, den sie heute Abend hier in der Kneipe trage, ein schwarzer Babyzylinder, der mit einem paillettenbesetzten Gummiband an ihrem Kopf befestigt war. Sie sagte: »Sam glaubt, die Tage des unironischen Huts seien endgültig gezählt. Außer man hat ein ungewöhnliches Gesicht − was 99 Prozent aller Menschen ausschließt. Also stellt sie in winzigen Formaten freche Imitate vergangener Modelle her, und die laufen erstaunlich gut. Sie fängt gerade an, reich zu werden.«
    »Ja?«, sagte Lev.
    »Nicht richtig reich«, lächelte Sam. »Komfortabel.«
    »Sie geht zu Filmpremieren und all solchem Scheiß. Tust du doch, Sam?«
    »Manchmal. Ich benutze die einfach als persönlichen Laufsteg. Ich gehe da hin, um einen Hut vorzuführen.«
    »Auf der London Fashion Week hatte sie eine große Schau.
    »Nicht richtig groß.«
    »Sie ist fabelhaft, ein Star.«
    »Du übertreibst. Ich lebe immer noch in Kentish Town.«
    Der fabelhafte Star musterte jetzt Lev. Ihre Frettchenaugen huschten von seinem frisch gewaschenen grauen Haar zu seinem Mund und dann zu seiner linken Hand, an der er immer noch seinen Ehering trug.
    »Ich wusste nicht, dass Sie verheiratet sind, Lev«, sagte sie, während sie an dem Wodka Tonic nippte, den Lev ihr ausgegeben hatte.
    »Das habe ich dir doch erzählt, Sam«, sagte Sophie rasch. »Levs Frau ist tot.«
    »Ach ja. Wow, tut mir leid. Hab ich vergessen. Ich bereite gerade eine Modenschau vor, und mein Hirn ist inzwischen im Koma-Modus. Erzählen Sie mir von Hüten in Ihrem Land, Lev.«
    »Hüte in meinem Land?«
    »Ich hole mir meine Inspirationen von überall her. Spanien war phantastisch. Die Mantilla ist solch ein schmeichelndes Konzept. Praktisch jede Frau sieht darin gut aus, weil man, falls nötig, mit der Spitze das halbe Gesicht verhüllen kann. Gott, bin ich gemein! Aber gerechterweise muss ich sagen, die meisten Frauen sehen auch in diesen breitkrempigen Hüten, die die Pikadores tragen, einigermaßen vorteilhaft aus. Ich habe sie einfach mit flatternden Bändern ausgestattet. Ihr Land habe ich nie besucht, aber irgendwie stelle ich mir Frauen mit Kopftüchern vor. Liege ich da richtig?«
    »Manchmal«, sagte Lev.
    »Ich meine nicht dieses komplette muslimische Kopftuchding, den hijab oder wie immer das heißt, sondern Kopftücher, wie die

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