Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen
an sein Glas und wollte eine Rede halten.
»Nein, Ben«, sagte Alma scharf, »bitte nicht. Bitte tu das jetzt nicht.« Sie fürchtete seine langwierige Umständlichkeit und hatte Angst davor, er würde zu privat von Glück, Dankbarkeit und fünfundzwanzig wundervollen Jahren sprechen, das hätte sie nicht ertragen.
Er sah sie leicht gereizt an und sagte: »Aber es ist doch unser Tag, ich wollte...«
»Eben drum«, sagte sie, »du tust das jetzt nicht.«
Heinz erhob sich. »Dann mach ich es«, sagte er, »Ben, Alma, es ist wunderbar, daß ihr immer noch zusammen seid, ich beglückwünsche euch und uns alle dazu, und ich danke dir, Alma, für das wunderbare Essen. Ich hoffe, ihr seid noch lange glücklich miteinander.«
»Glück gibt es nicht«, warf Jonathan ein, und Vivien rief: »Gibt’s doch, hat nur nicht jeder.«
»Glück«, sagte Jonathan, »das ist Sonne auf der Hoteltapete. Ansonsten gibt es so was wie Glück immer nur in der Erinnerung. Man weiß erst, was Glück ist, wenn man es verloren hat«, und Alma wußte: sie war einmal sehr glücklich gewesen, auch mit Ben, aber das war vorbei. Irgend etwas war mit ihnen geschehen, aber was? Und war das schlimm oder im Grunde ganz normal? Teppiche nutzten sich ja auch ab, oder?
Ben wollte sich das Wort nun doch nicht so leicht abschneiden lassen und fing wieder an.
»Ich möchte euch etwas erzählen«, sagte er, »etwas, das Alma und mir im letzten Sommer passiert ist.«
»Nein, Ben«, sagte Alma, »das ist eine sehr persönliche Geschichte, die erzählst du jetzt bitte nicht.«
Ben sah sie erstaunt und auch wütend an. »Was ist daran so schrecklich persönlich?« fragte er. »Es ist eine irre Geschichte, und außerdem sind das hier unsere Freunde, ich bitte dich. Also. Ihr wißt, daß Alma und ich letztes Jahr noch mal nach Frankreich gefahren sind, in die Bretagne, wo wir in den ersten Jahren unserer Ehe so oft waren.«
Alma schob ihren Stuhl zurück und ging hinaus. Anita folgte ihr in die Küche.
»Was hast du«, fragte Anita, »was ist das für eine Geschichte, kenn ich die?«
»Nein«, sagte Alma, »kennt niemand, und ich finde nicht, daß das etwas ist, was er jetzt auch noch stolz erzählen sollte. Es ist keine ruhmreiche Geschichte, und mir liegt sie eher wie ein Stein in der Brust.«
Und sie erzählte Anita von dieser Reise, die so eine Enttäuschung gewesen war. Stundenlang hatten sie auf der Fahrt durch die langen Alleen und die kleinen Dörfer stumm nebeneinander gesessen, sich wohl jeder für sich daran erinnert, wie sie früher hier und da Picknick gemacht, sich auf den Wiesen geliebt hatten, aber sie hatten nicht darüber gesprochen, auch an den Abenden nicht, in den klammen Hotelbetten, in denen sie nebeneinander lagen, ohne sich zu berühren.
»Nichts ist dümmer«, sagte Alma, »als an einen Ort zurückzufahren, an dem man einmal glücklich war. Man spürt nur Verlust, und man spürt ihn schmerzlich.«
Und dann, erzählte sie weiter, dann sei ihnen in Pléhérel, dem Ort, in dem sie damals im ersten Sommer waren, ein junger schlaksiger Mann, Mitte Dreißig, auf der Straße entgegengekommen, habe plötzlich gestutzt, sei in Tränen ausgebrochen, habe sie umarmt, geküßt, beide, sie in die Luft gehoben, herumgeschwenkt und immer wieder ihre Namen gerufen, ganz außer sich vor Glück.
»Das war Yannick«, sagte sie, »damals war er ein zehnjähriges Kind gewesen, Sohn des Bauern, auf dessen Wiese wir den Sommer über zelteten. Er war oft zu uns gekommen, Ben hat ihm schwimmen beigebracht, er durfte unseren 2CV durch die Felder steuern, er durfte an meinen Zigaretten ziehen, und wir haben mit seinem Vater geredet, daß er ihn nicht mehr schlagen soll. Yannick war ein zartes Kind.«
Alma starrte vor sich hin. Dann sah sie Anita an, mit Tränen in den Augen.
»Wir haben ihn geliebt, weißt du«, sagte sie, »er war einen Sommer lang wie unser Kind. Wir haben ihn wirklich geliebt. Und dann sind wir abgefahren und haben ihn einfach vergessen. Vergessen. Wir haben unser Leben geführt und vierundzwanzig Jahre lang nie wieder an dieses Kind gedacht. Was sind wir für Menschen.«
»Jeder ist mit seinem eigenen Leben beschäftigt«, versuchte Anita zu trösten, aber Alma schüttelte den Kopf: »Er hat uns nicht vergessen«, sagte sie. »Er hat seine Liebe bewahrt.«
Als sie wieder zurück ins Wohnzimmer kamen, weil Alma ihre Abwesenheit nicht zu dramatisch ausdehnen wollte, erzählte Ben gerade stolz:
»Und jetzt ist er Metrofahrer in
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