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Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Titel: Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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Vivien: »So macht man das«, sagte er, und Vivien antwortete schnippisch: »Es wär einfacher gewesen, sie zu entlassen.«
    Anita hatte eine Putzfrau, die einen alten zweigeteilten venezianischen Spiegel nicht putzen wollte, weil zerbrochene Spiegel Unglück bedeuten und man sie nicht berühren darf.
    »Ich habe ihr lang und breit erklärt, was Glasbläserkunst ist, und daß man im Empire noch nicht die Möglichkeiten hatte, so große durchgehende Spiegel herzustellen, aber es war nichts zu machen, ›Spiegel kaputt, bringt böse‹, sagte sie. Stellt euch vor, ich mußte den schönen Spiegel abhängen.« Sie fragte Alma: »By the way, willst du ihn? Hierher würde er gut passen, und ich schau sowieso nicht mehr gern in Spiegel.«
    »Nein«, sagte Alma, »guck dich doch mal um, alles voller Spiegel, weil die Kerzen davor so schön aussehen. Ich will keinen mehr.«
    »Ich würde ihn nehmen«, ließ Vivien sich hören, und Heinz sagte scharf: »Dich hat aber keiner gefragt, Vivien.«
    »Meine Putzfrau«, sagte Alma schnell, »heißt Elfi, und ihre Mutter war lange im Zirkus, als Assistentin bei einem Zauberer, sie gab jeden Abend die zersägte Jungfrau.«
    Alle lachten, und Leo fragte: »Wirkt sich das irgendwie auf ihre Arbeit aus, zersägt sie alles?« »Nein«, sagte Alma, »aber sie macht mich ganz verückt, weil sie ununterbrochen redet, sie spricht mit den Dingen, sie kommentiert alles, was sie tut. Zu den Kacheln sagt sie: Nein, was seid ihr dreckig, na wartet, jetzt kommt Elfi mit dem Scheuerschwamm, und zum Putzeimer sagt sie: Wasser schon wieder schwarz? Na, dann wird Elfi mal neues holen.«
    »Bei uns putzt Gabor«, sagte Christian, »und wenn Gabor was kann, dann putzen.«
    Daran zweifelte Alma nicht und überlegte sich, ob Gabor sonst noch was konnte. Er arbeitete als Kellner in einem ungarischen Restaurant, er war selbst Ungar, und Alma mochte ihn nicht und fürchtete, daß er Christian ausnutzte. Sein ungarischer Dialekt war allerdings liebenswert, sie hörte ihn gern reden und fragte: »Gibt’s neue Kneipengeschichten, Gabor?« denn er erlebte die wunderlichsten Dinge in seiner Wirtschaft.
    »Ja«, sagte Gabor, der an diesem Abend seltsam gedrückt und still wirkte, »gibt Taubstummengeschichte. Soll Christian erzählen.« Christian nahm Gabors Hand, eine Geste, die für einen Augenblick alle irritierte, und dann erzählte er, daß neulich so ein taubstummes Mädchen von Tisch zu Tisch gegangen sei, kleine Zettel mit dem Taubstummenalphabet verteilte und dann zurückkam, um Geld dafür zu erbetteln. Eine Mutter, die mit zwei quengelnden Kindern im Lokal saß, hatte zwei solcher Zettelchen gekauft und zu den Kindern gesagt: so, das lernt ihr jetzt bitte, und dann unterhaltet ihr euch in der Taubstummensprache, das ist sehr lustig und die Mama hat endlich Ruhe.
    Alle lachten, und Heinz sagte: »Ich hab so einem Taubstummen mal extra zwanzig Mark gegeben, weil ich einfach hören wollte, wie er überwältigt ›Oh! Danke schön!‹ sagt, aber er hat durchgehalten und nur genickt.«
    Gudrun protestierte: »Macht euch doch nicht über die Gebrechen anderer lustig«, und Vivien putzte ihre Nana-Mouskouri-Brille und sagte nölig: »Aber das tun wir doch gar nicht, und außerdem machen sich andere über uns ja auch lustig. Meint ihr, ich wüßte nicht, daß ihr alle über meine Brille lacht?«
    Niemand hatte Lust, dazu etwas zu sagen, aber Alma reizte es, Vivien noch ein bißchen zu ärgern, und sie sagte zu Heinz: »Weißt du noch, Heinz, an deinem ersten Hochzeitstag damals mit Karin, da betraten die Amerikaner gerade den Mond.«
    »Das habe ich ihnen immer übelgenommen«, rief Jonathan, und Leo erzählte, daß ihm damals ein Black Panther in New York gesagt hatte: wirklich beeindruckt wäre er nur gewesen, wenn die ersten weißen Männer auf dem Mond spektakulär Selbstmord begangen hätten.
    Alma sammelte mit Anita die Teller ein, und sie holten das Filet in Blätterteig und die Artischocke aus der Küche.
    »Ich kann diese Vivien nicht ausstehen«, sagte Anita, »sie erinnert mich an Röschen Malettke. Erinnerst du dich noch an Röschen Malettke?«
    Alma nickte und schnitt das Filet vorsichtig in schmale Scheiben. Röschen Malettke war die erste Inhaberin des Buchladens gewesen, in dem Alma damals schon und jetzt immer noch arbeitete, und sie hatte Alma das Leben ziemlich schwer gemacht. »Auch diese Brille«, sagte Alma, »auch Paradentose und diese langen Zähne, auch immer in kackbraunen Klamotten,

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