Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen
wie kann ein Mensch die Farbe braun an sich ranlassen, das erklär mir mal, und auch immer dieses prüde Naserümpfen. Wie hält ein so simpel gestrickter, netter Mensch wie Heinz das aus?«
»Röschen Malettke ist tot, Friede ihrer braunen Asche«, sagte Anita, »und Vivien, ach Gott, die bleibt uns nicht mehr lange, Heinz schielt schon in der Gegend rum, soviel ich weiß.«
»Hattest du eigentlich mal was mit Heinz?« fragte Alma, und Anita nickte. »Aber nur ganz kurz«, sagte sie, »vor Vivien, und ich hab jetzt schon vergessen, wie es war.« Und sie fragte Alma: »Betrügst du Ben eigentlich nie?«
Alma setzte sich für einen Augenblick auf einen Küchenstuhl. »Nein«, sagte sie nachdenklich, »tu ich nicht, aber nicht aus Liebe oder Treue. Aus Mangel an Gelegenheit, nehme ich an. Und es ist so anstrengend, findest du nicht?«
»Das ganze Leben ist anstrengend,« sagte Anita und nahm die Schüssel mit der Artischocke für Gudrun. »Ich weiß nicht, was anstrengender ist: wenn was passiert oder wenn nichts passiert.« Gemeinsam kehrten sie an den Tisch zurück und verteilten das Essen.
Heinz hatte inzwischen einen seiner besonderen Rotweine eingeschenkt, hielt ein Glas hoch und dozierte, dies sei nun ein Wein auf dem Höhepunkt seiner Reife, untermauert von einer Tanninstruktur und mit dem mürben Charme des Alters, im Abgang aber durchaus sanft gerundet. Jonathan starrte ihn angewidert an, kippte den Wein in einem Zug hinunter und sagte dann provozierend zu Leo: »Apropos mürber Charme, Leo, weißt du noch, wie wir mal Hundescheiße gegessen haben?«
Leo hob beschwörend die Hände. »Hör bloß auf!« rief er und sah nervös zu Gudrun, die die Augen schon aufriß und das Glas sofort absetzte.
»Was habt ihr?« fragte sie fassungslos, und obwohl Leo abwinkte, erzählte Jonathan fröhlich weiter, laut und unbekümmert, wie es seine Art war.
»Ist Jahre her, nach einem entsetzlichen Saufabend, da haben wir gewettet, Leo und ich. Ich hab gesagt: wetten, du frißt keine Hundescheiße! Und Leo hat gesagt: um was wetten wir? Ich hab gesagt: wenn du Hundescheiße frißt, freß ich auch welche. Ich hab doch nie daran gedacht, daß der das macht. Und was soll ich euch sagen, auf dem Heimweg bückt er sich und – «
Vivien rannte raus und hielt die Hand vor den Mund. Alma rief: »Jonathan, was erzählst du für unappetitliches Zeug, beim Essen!« Aber Jonathan war nicht zu bremsen. Gudrun standen die Tränen in den Augen. Sie faßte Leos Arm.
»Das hast du gemacht«, fragte sie, »das hast du wirklich gemacht?«
»Nur ganz wenig«, sagte Leo ausweichend, und sie heulte: »Und ich hab dich geküßt!« schluchzte sie, »wie eklig!« und sie trank das ganze Glas Wein in einem Zug leer, als müßte sie etwas hinunterspülen. »Nicht mit diesem Wein!« rief Heinz flehend, »den muß man in kleinen Schlucken genießen!«
»Er hat’s getan«, sagte Jonathan zufrieden, »und dann hab ich’s auch getan, und wißt ihr, was dann war? Dann wurde uns granatenschlecht und elend, und dann haben wir uns angesehen und gesagt: Und was haben wir jetzt davon? Jetzt haben wir beide Hundescheiße gefressen.« Er lachte und lachte, und Leo sagte wie zur Entschuldigung: »Wir haben dann noch eine ganze Flasche Schnaps nachgeschüttet, die ich bezahlen mußte.« Und dann schrie er die wimmernde Gudrun an: »Verdammt noch mal, dich kannte ich doch damals noch gar nicht.«
»Ich habe ein Kind von einem Mann, der Hundescheiße gegessen hat«, schluchzte Gudrun, »wie soll ich dem Kind das je beibringen!« »Gar nicht«, sagte Leo, »gar nicht, Gudrun. So einfach ist das.« Und zu Jonathan sagte er: »Du blödes Arschloch, war das jetzt nötig?«
Alma wollte rausgehen, um nach Vivien zu sehen, aber Anita hielt sie am Arm fest.
»Laß sie doch kotzen«, sagte sie, »die ist doch bulimisch, die kotzt doch sowieso dauernd, die ist das gewöhnt.«
Ben versuchte, etwas zu retten, und sagte: »Ich habe gerade gelesen, daß primitive Völker ihre Alten aufgefressen haben, um den Fortschritt zu sichern.«
»Was hat das denn jetzt mit Hundescheiße zu tun?« fragte Gudrun, und Ben sagte unsicher: »Was meinst du, was ist schlimmer, Hundescheiße essen oder einen alten Mann?«
Jonathan war der einzige, der noch lachte.
»Blendende Idee«, sagte er, »alte Männer sollte man einfach aufessen. Und was tun wir statt dessen? Wir setzen sie ins Parlament, in die Akademien und in das Nobelpreiskomitee. Die hatten recht, früher, die waren
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