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Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Titel: Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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alles andere als primitiv.«
    »Aber Hundescheiße fressen ist primitiv«, sagte Gudrun angewidert und fauchte Leo an: »Dich kann ich jetzt nie mehr küssen, ohne daran zu denken.«
    Alma fing Leos Grinsen auf und war sich nicht sicher, ob ihm das wirklich etwas ausmachte. »Also, appetitlich finde ich solche Geschichten beim Essen eigentlich auch nicht«, brummte Heinz, und Ben schlug vor: »Soll ich mal nach Vivien sehen?« »Ach was«, sagte Heinz.
    »Appetitlicher jedenfalls als das Alter«, knurrte Jonathan. »Was ist an Scheiße schlimmer als an einem alten, vergammelten Körper?« und Anita schrie: »Hör bloß auf, nicht dieses Thema, ich habe mir neulich einen Badeanzug gekauft und mußte in so eine hell beleuchtete Kabine mit drei Spiegeln. Ich bin zu Tode erschrocken über das, was ich da sah, und dann habe ich zwei Tage nur geheult.«
    »Warum kaufst du auch Badeanzüge«, fragte Jonathan, »wozu?« »Um zu schwimmen, du Idiot«, sagte Anita, und er schaute sie an, trank sein Glas leer und fragte wieder: »Wozu?«
    Ja, wozu, dachte Alma, wozu versuchen wir so verzweifelt, jung, knackig und gesund zu bleiben, als könnten wir den Verfall aufhalten. Wir werden Senioren genannt und alle tun so, als gäbe es Alter und Tod nicht, dabei sind wir in einigen Jahren nichts anderes als das: faltig, alt, tot.
    »Kennt ihr die Geschichte von Fellini?« fragte Jonathan, und Vivien, die gerade wieder reinkam, stöhnte: »Sag jetzt bitte nicht, daß der auch Hundescheiße gefressen hat.«
    »Nein«, sagte Jonathan, »der sah auf einem Hotelflur, wie ein alter Mann aus seinem Zimmer kam, die Tür schloß und sie dann sofort wieder öffnete, den Kopf reinsteckte und schnupperte. ›Was machen Sie da?‹ hat Fellini ihn gefragt, und er hat geantwortet: ›Ich prüfe, ob es wie alter Mann riecht, wenn ich mein Zimmer verlasse.‹ Fellini sagte, das täte er seitdem auch, und es sei deprimierend, es röche immer wie alter Mann.«
    Alle waren still, Vivien setzte sich wieder, schob den Teller weg und sagte: »Jetzt kann ich nichts mehr essen.«
    »Stell dich nicht so an«, sagte Heinz, nahm ihren Teller und aß ihre Portion auch noch auf. »Jemand wie du, der lebende, stinkende Austern schlürfen kann, sollte sich vor gar nichts ekeln, möchte man meinen.«
    »Wißt ihr, woran ich zuerst gemerkt habe, daß ich alt werde?« fragte Jonathan. »Daran, daß ich im Zug nicht mehr lese. Ich bin ja viel auf meinen Lesereisen unterwegs, und früher habe ich in den Zügen wie ein Besessener gearbeitet, Zeitungen durchforstet, geschrieben, gelesen. Jetzt sitze ich nur noch still da und schaue auf die Landschaft, ich will immer nur Landschaften sehen, das beruhigt meine Seele. Und ich habe Kopfhörer auf und höre Schubert, nur noch Schubert, ich kann gar keine andere Musik mehr ertragen.«
    Leo sagte: »Du solltest Bob Dylan hören«, und Jonathan antwortete brüsk: »Leck mich doch am Arsch mit deinem ewigen Bob Dylan, was weißt du denn vom Alter«, aber dann prostete er ihm versöhnlich zu, sie waren wieder quitt, und Leo lachte.
    »Ich brauch jetzt einen Schnaps«, verkündete Gudrun, die sonst nie Schnaps trank. »Anders kriege ich die Hundescheiße nicht runter.«
    »Jetzt hört doch endlich mit der verdammten Hundescheiße auf«, sagte Heinz und goß Gudrun einen Grappa ein. Anita sagte: »Apropos Schnäpse, ich war neulich in Kreuzberg, da gab es eine Kneipe, die hatte ein Schild im Fenster: Helle Schnäpse: zwei Mark. Dunkle Schnäpse: zwei Mark.«
    »Und?« fragte Vivien, und Anita wiederholte: »Helle Schnäpse: zwei Mark, dunkle Schnäpse: zwei Mark« und lachte los. Vivien sagte pikiert: »Wo ist denn da der Witz?« und Jonathan lachte, bis ihm fast die Tränen kamen.
    »Das ist korrekt«, sagte er, »das ist Berlin, immer deutlich, immer gründlich. In den Hacke’schen Höfen steht immer noch auf einer Mauer: ›Soziale Gegenmacht von unten aufbauen‹!«
    »Was machst du in Berlin?« fragte Alma, »ich denke, du haßt Berlin?«
    »Wer haßt Berlin nicht«, sagte Jonathan, »aber deshalb fährt man doch gern ab und zu mal hin. Ich hab da einen Vortrag gehalten, Thema: ›Die Bedeutung der Seifenoper in der Reinkarnationsforschung‹.«
    »Das ist jetzt nicht dein Ernst?« sagte Gudrun, die lange in Poonah und Expertin für Reinkarnationsforschung war.
    »Nein«, sagte Jonathan, »das ist nicht mein Ernst«, und sie war verunsichert und wußte nicht mehr, was sie sagen sollte.
    Bei der Himbeer-Rotwein-Creme klopfte Ben

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