Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen
prosteten sich zu, und es war plötzlich ziemlich still geworden.
»Also«, sagte Heinz, »wenn wir schon mal beim Bekennen sind: Vivien und ich werden uns trennen.«
Niemand antwortete, alle sahen nachdenklich vor sich hin, und Heinz sagte enttäuscht:
»Ach, das habt ihr euch wohl schon gedacht?«
»Nein«, sagte Jonathan grob, »es interessiert nur einfach niemanden, Heinz.«
Anita hatte das Gefühl, sie müßte auch noch irgend etwas Nettes zu Gabor und Christian sagen, und ungeschickt fragte sie: »Was werdet ihr jetzt tun, ihr beiden?«
Christian wischte seine Tränen ab, schneuzte sich in die Serviette und lächelte.
»Was wir tun werden?« antwortete er. »Was sollen wir schon groß tun. Weiteratmen.« Und Gabor nickte.
»Nietzsche sagt«, fing Leo an und winkte dann, schon angetrunken, ab. »Ist ja auch egal, was Nietzsche sagt.«
Jonathan lachte. »Was, Leo«, zog er ihn auf, »das gibt’s doch nicht, daß Nietzsche mal nichts sagt. Wißt ihr noch«, fragte er in die Runde, »wie Leo mal mit Nietzsches Texten über Land durch die Theater und Vortragssäle gezogen ist? Jeden Abend haben sie ihn hier am Stadttheater zurechtgeschminkt, die hohe Stirn, die Mähne, den Schnauzbart, das hätten sie in der Provinz nicht so hingekriegt, und es hat jedesmal zwei Stunden gedauert. Es war perfekt, was, Leo? Du warst Nietzsche. Und dann hat er die alten Klamotten angezogen, die man damals trug, und ist mit seinem Peugeot über die Dörfer gefahren, um in Gemeindesälen und Kellertheatern Nietzschetexte unter die Leute zu bringen. Ich war einmal mit, und ich werde nie vergessen, wie die Leute in Gummersbach an den Ampeln in das Auto starrten, wo Nietzsche am Steuer saß.«
Niemand konnte so recht lachen, und der Abend war vorbei, das spürten alle. Heinz und Leo brachen auf, sie nahmen Gabor und Christian mit. Jonathan wollte mit Ben noch eine letzte Zigarre rauchen, und Anita und Alma räumten in der Küche ein bißchen auf.
»Ich werde mich von Ben trennen«, sagte Alma.
»Nein!« antwortete Anita fassungslos und sank auf einen Stuhl.
»Doch«, sagte Alma ruhig und spülte die Gläser. »Ich habe vielleicht auch noch fünfzehn, zwanzig Jahre. Ich will noch mal ein eigenes Leben.«
»Aber ihr habt es doch so schön hier«, sagte Anita, »was gäbe ich darum...«
»Dann nimm du ihn doch«, antwortete Alma grob und sagte sofort hinterher: »Verzeihung. Tut mir leid.«
Anita sagte: »Ich kann dazu jetzt gar nichts sagen. Ich bin auch zu betrunken. Ich fahre jetzt nach Hause und melde mich in den nächsten Tagen. Überstürz nichts, Alma.«
Sie gab Alma einen Kuß, verabschiedete sich von den Männern im Wohnzimmer und war weg, Alma hörte ihr Auto. Anita konnte noch so betrunken sein, sie fuhr immer selbst, sie hatte eine Heidenangst davor, sich nachts irgendwelchen, wie sie sagte, rassistischen, debilen, haßerfüllten Taxifahrern anzuvertrauen.
Alma schaltete das Licht in der Küche aus, sie würde morgen aufräumen. Morgen. Im Wohnzimmer erklärte Ben Jonathan, daß er mit zwanzigtausend in den neuseeländischen Dollar gehen wolle, und Alma sagte nicht gute Nacht, sondern ging ins Gästezimmer und legte sich voll angekleidet aufs Bett. Sie schloß die Augen und dachte darüber nach, was wichtig war und was nicht. Und dann fiel ihr erstaunt auf, daß das, was früher einmal wichtig gewesen war, heute bedeutungslos war, also würde das, was sie jetzt für wichtig hielt, sich auch irgendwann als bedeutungslos herausstellen. Alles war nur eine Frage des Zeitpunkts.
»Ich werde nach Paris fahren«, dachte sie, ehe sie endgültig einschlief. »Ich werde Yannick und die Kinder besuchen, und dann werden wir schon irgendwie weitersehen.«
Letztlich war das Leben ein Rätsel, ein Geheimnis, es war irgendwie unauffindbar, und Glück, dachte Alma, Glück, da hat Jonathan recht, Glück ist Sonne auf der Hoteltapete.
Der Tag, als Boris Becker ging
Am 30. Juni 1999 spielte Boris Becker zum letzten Mal in Wimbledon. Er verlor, und dann sagte er: »Es war Zeit zu gehen« und »Es ist gut, daß es vorbei ist«.
Wir hatten mit diesem Tag gerechnet und waren doch verstört und fassungslos, als er kam. Nie wieder unser Boris! Die meisten von uns interessierten sich überhaupt nicht für Sport, schon gar nicht für Tennis. »Fünfundfünfzig Millionen Tote im Zweiten Weltkrieg«, sagte Wenzel immer, »und ich soll mich dafür interessieren, wer Dritter auf der Tennisweltrangliste ist? Leckt mich doch.«
Wir ließen
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