Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Titel: Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
Vom Netzwerk:
alle gelacht, und Hella hatte gesagt: »Demnach wären wir ja schon tot, denn so gut wie geschieden sind wir bereits.«
    Die Hochzeitsfeier in der Kneipe war ein schönes Besäufnis geworden, Hella und Fritz hatten sich nicht einmal gezankt an jenem Tag.
    Aber heute, an diesem Abend nach Beckers Niederlage und Abgang, war Fritz angefressen. Er hatte eine neue Freundin und wollte mit ihr ins Kino gehen, in einen Film mit Robert De Niro. Hella hätte ihn laut Dienstplan in der Spätschicht vertreten sollen und war einfach nicht erschienen. »Sie denkt nicht dran«, sagte Fritz und knallte uns wütend die Biere und Schnäpse hin, »sie denkt nicht dran, sagt sie, hier zu arbeiten, während ich mit der Mutter im Kino wäre. Eifersüchtig, auf einmal. Die kann was erleben, ich trag sie auf dem Dienstplan für Silvester 2000 ein, und dann laß ich sie hier bedienen und mit euch Idioten versauern, die ganze Nacht.«
    »Silvester 2000«, sagte Tayfun, »das ist ein Abend wie jeder andere, den nehmen wir überhaupt nicht zur Kenntnis, das merk dir mal! Ich will am 31.12. hier in Ruhe mein Bier trinken, wie an jedem anderen Abend auch, und wehe, das Wort Millennium fällt auch nur einmal, dann hau ich alles kurz und klein.« »Das tust du nicht«, sagte Fritz dröge, »weil sie dich dann wieder zurück nach Ankara schicken.«
    »Millennium«, stöhnte Wenzel, »wenn ich das schon höre. Wieder so ein Datum für ultimative Fragen – wo kommen wir her, wer sind wir, wo gehen wir hin, haben Tiere eine Seele, können Pflanzen fühlen. Laßt uns doch einfach Silvester abhauen, damit wir das alles nicht hören müssen.«
    Es entbrannte eine Diskussion darüber, was wir denn an Silvester 2000 tun könnten, und Janni, die gerade verheult aus dem Film »Buena Vista Social Club« kam und ihr Leben ab sofort mit Compay Segundo verbringen wollte, sagte: »Laßt uns doch einfach alle nach Kuba fahren und das vierzigste Jahr der Revolution feiern, solange es Fidel und Havanna noch gibt.«
    »Das fehlt noch, ich nach Kuba«, sagte Wenzel, »wo sie den Sozialismus verraten und wo die Leute länger in Gefängnissen braten als irgendwo sonst auf der Welt. Fidels Genossen sitzen noch länger als Mandela gesessen hat.«
    »Du kannst ja trotzdem mitfahren und dich dann mal wieder jeden Tag eine Stunde an irgendeinem öffentlichen Gebäude für die Menschenrechte anketten«, schlug Tayfun vor. Wenzel hatte sich schon als Schüler während der Militärdiktatur in Griechenland aus Protest angekettet, die Zeitungsausschnitte darüber hingen gerahmt und vergilbt an der Wand im Männerklo, direkt über dem Graffito »Der Arbeiter arbeitet. Der Dichter dichtet. Der Chef scheffelt.«
    »Mal wieder anketten für das Gute in der Welt«, sagte Wenzel und kippte seinen Grappa, »keine schlechte Idee, das könnte ich machen, bei schönem Wetter an den Strand, bei Regen anketten, dann ruhig auch schon mal zwei, drei Stunden, also, ich komm mit.«
    Ich war auch in »Buena Vista Social Club« gewesen und hatte die ganze Zeit weinen müssen aus Rührung über diese alten Leute, die so eine herrliche Musik machten, hatte mir gewünscht, endlich auch zweiundneunzig Jahre alt zu werden – und zwar etwas glücklicher als meine arme Mama da draußen in ihrer Terra nera für 685 Mark –, und ich war über und über mit Glück beschneit aus dem Kino gekommen. Es hielt immer noch an, das Glücksgefühl. Ich wollte ein besserer Mensch werden, und ich fühlte mich sanft und friedlich in der Runde dieser Freunde.
    Wir waren alle irgendwo zwischen vierzig und fünfzig, die Männer hatten noch oder schon wieder lange Haare mit Zopf, und wir Frauen benutzten keine Antifaltencreme, um schön zu bleiben. 1968 war zwar weit, aber noch nicht so lange her, daß wir uns nicht mehr daran erinnerten, und keiner von uns wäre je auf die Idee gekommen, die Welt am Sonntag zu lesen oder die FAZ zu abonnieren – wo der Feind stand, das wußten wir noch immer und wir hofften auch, daß der klassische FDP-Wähler einfach immer älter und trotteliger und eines Tages endlich aussterben würde. »Da darf nichts nachwachsen«, sagte Huberti immer, aber wenn Freitag abends die jungen geschniegelten Börsenbubis mit ihren roten Sportautos aus der Nachbarstadt auftauchten und unsere Kneipe wie ein Saurierbiotop aus vergangenen Zeiten bestaunten und, wenn Tom Waits lief, riefen: »Was ist das denn für eine beschissene Musik?« dann waren wir uns nicht mehr so sicher, ob das nicht die künftigen

Weitere Kostenlose Bücher