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Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Titel: Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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hatte den Kater weinend im Hinterhof begraben, und dabei war ihr wohl klargeworden, wie sehr sie diesen Kater und wie wenig sie Fritz noch liebte, und deshalb mußte Fritz gehen, und vielleicht hatte sie ja auch geschrien: »Es ist Zeit zu gehen, Fritz!«
    Jedenfalls hatte er sich eine Wohnung gesucht, und kurz danach hatten sie dann völlig zerstritten geheiratet. Hella hatte darauf bestanden, damit das Kind endlich in ordentlichen Verhältnissen lebte und damit Fritz ja nicht auf die Idee käme, nicht zu zahlen, und überhaupt, einmal im Leben wollte sie auch heiraten, warum also nicht jetzt, wo alles vorbei war?
    Wir waren alle zu dieser Hochzeit gegangen, noch in den grauenhaften orange- und pinkfarbenen ausgestellten Hosen und Lammfellmänteln mit Stickerei, den indischen Wallekleidern, diesen Zottelklamotten der siebziger Jahre, mit denen wir direkt vom Friedhof kamen, wo Ludger für seinen ersten Fernsehfilm eine Beerdigung drehte und wir in diesen Kleidern als Statisten antanzen mußten, ohne Geld, versteht sich. Ludger spendierte dafür später bei Fritz ein paar Runden. In dem Film wurde ein Späthippie beerdigt, und wir mimten die Freunde, die ihm die letzte Ehre erwiesen. Alle waren wir da – Wenzel und Huberti, das linkeste aller linken Kabarettduos, Karl, der mit seiner Plattenfirma Millionär geworden, aber Trotzkist geblieben war, Schmittchen, der Friseur, der uns auch schon mal in der Küche der Kneipe nach Feierabend die Haare schnitt, Jupp und Danilo, die sich zusammen eine Schreinerei aufgebaut hatten und avantgardistische Möbel entwarfen, die kein Mensch kaufen wollte. Die schöne Janni war da, die schon in allen Betten gelegen, immer ewige Liebe geschworen und sich zwei Tage später neu verliebt hatte, Tayfun war da, unser Vorzeigetürke, der besser Dialekt sprach als mancher von uns, meine Freundin Lola war da, die Musikerin, die melancholische Arbeiterkampflieder komponierte, aber keinen Arbeiter mehr fand, der ihr zuhörte, also sang sie nur für uns, Frank war da, der stille Schachspieler, der immer nur gegen sich selbst oder den Computer spielte, und ich war auch da in einer neongrünen Hose und einer Lederjacke aus dem Fundus, mit goldenen Ketten und einem Schriftzug hintendrauf: Hotel California.
    Da stand ich also schon wieder auf einem Friedhof, aber diesmal war es nicht die Urne Terra nera mit der Asche meiner Mutter, die wir hinunterließen in das Erdloch – »Familie senkt selbst ab«, hatte der Bestattungsunternehmer gesagt und die beiden Totengräber diskret beiseite gewunken –, diesmal war es nur ein Filmbegräbnis, und wir alle sollten – so die Regieanweisung von Ludger – möglichst erschüttert gucken, mußten aber nicht zwingend auch wirklich etwas empfinden.
    Bei meiner Mutter damals hatte ich in dem Augenblick, als die Familie selbst absenkte, das heißt, als wir die Urne an zwei Seilen langsam in die Grube hinunterließen, tatsächlich nichts gefühlt, das kam erst später. Wir warfen Erde auf die Urne Terra nera, und ich hatte nur gedacht, daß jetzt der Schmutz, den sie ihr Leben lang so hartnäckig bekämpft hatte, doch noch über meiner Mutter zusammenschlug. Nur das hatte ich gedacht. Aber hier, bei dieser Filmbeerdigung, lag mir das Herz schwer in der Brust, ein Eisklumpen, den ich auftauen spürte, und davor fürchtete ich mich, denn das würde eine Überschwemmung in meiner Seele geben. Ich blieb lieber ein Eisberg, der mit einer netten, hellen Spitze aus dem Wasser ragt, für jedermann sichtbar, aber mein großer dunkler Teil lag hart und gefährlich unter der Oberfläche. Ich hatte Angst, meine Freunde würden nicht vorsichtig genug auf mich zukommen und dann auflaufen und zerbrechen. Ich hielt mich immer am Rand.
    Ich sah in das Grab mit dem leeren Sarg und trauerte um uns alle, die wir mehr oder weniger bald da unten liegen würden, und Fritz würde uns die unbezahlten Bierdeckel nachwerfen.
    Direkt nach der Filmbeerdigung waren wir also als bunt verkleidete Horde von Filmstatisten zur Hochzeit von Fritz und Hella gefahren. Es imponierte uns, daß endlich mal zwei am Ende der Liebe heirateten und nicht am Beginn, wir fanden das ehrlich, logisch und fair. Die Liebe war keine sichere Bank, und die Ehe bot Hella und Ramona wenigstens ein Mindestmaß an Versorgung, wir fanden das in Ordnung, sogar Fritz sagte: »Warum soll ich sie nicht heiraten, bloß weil sie mich jetzt rausgeschmissen hat.« Bei »bis daß der Tod euch scheidet« hatten wir allerdings

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