Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen
Herren der Welt sein würden. Wir hatten ja 68 laut genug gefordert: Keine Macht für niemand! Und nun hatten wir keine.
Karl, unser linker Millionär, sagte abfällig: »Wenn ich die schon sehe, diese Typen, die morgens auf dem Weg ins Büro noch bei ihrer Domina vorbeifahren, sich eine Nadel in den Hodensack stechen lassen und dann in den zwanzigsten Stock rauffahren, um die Kupferpreise festzusetzen.«
Karl hatte gerade vor kurzem eine Auseinandersetzung mit der Polizei gehabt, mit denselben Bullen, sagte er, die in Wackersdorf damals auf uns eingeschlagen hätten, und jetzt habe ihn so einer angerufen wegen kurdischer Parolen auf seiner Hauswand.
»Sind Sie der Hausbesitzer?« hatte er gefragt, und als Karl bejahte, sagte er: »Dann erstatten Sie doch bitte Anzeige gegen Unbekannt, damit wir wegen Sachbeschädigung ermitteln können. Wir wissen nämlich, in welchem Umfeld wir ermitteln müssen, um den Verursacher dieser Schmierereien zu finden.«
»Schmierereien?« hatte Karl gebrüllt, »ich hör ja wohl nicht recht! Soll ich Sie wegen – wie nennt Ihr so was? – Verunglimpfung anzeigen? Wie kommen Sie mir denn vor, das Haus gehört mir, verstehen Sie? Und ich bin stolz darauf, daß meine kurdischen Freunde ihre berechtigten Forderungen auf meine Hauswand schreiben. Laßt ihr mich bloß in Ruhe mit eurem Erstatten-Sie-Anzeige-Scheißdreck, ich will damit nichts zu tun haben«, und hatte den Hörer aufgeknallt. Wir waren alle mächtig stolz auf Karl, der den Bullen gezeigt hatte, daß die Millionäre von heute woanders stehen als die Millionäre von damals, wenn sie auch heute mehr Geld für Calvin-Klein-Unterwäsche als damals für die bewaffnete Guerilla in Nicaragua ausgaben.
Schmittchen kam rein, atemlos und sehr in Wut. Schmittchen hatte langes, graues schönes Haar, das zum Pferdeschwanz gebunden auf seinem Rücken wippte. Sein Salon lag direkt neben der Kneipe, und er schnitt uns allen die Haare, wütend über jeden Kurzhaarschnitt, den er machen mußte, und den modischen Pißpottschnitt à la Jürgen Trittin – oben ein Mützchen, unten rasiert, den schnitt er prinzipiell nicht. Kunden, die das wollten, schickte er aus dem Laden zu Salon Anni zwei Ecken weiter. »Da können Sie sich verunstalten lassen«, sagte er, »bei mir nicht.«
Schmittchen war auch gerade in »Buena Vista Social Club« gewesen und ganz entspannt aus dem Kino gekommen, ebenfalls fest entschlossen, ein besserer Mensch zu werden und seiner ewigen Freundin Reni morgen zwei Gardenien, dos gardenias, zu schenken und zu sagen: »Reni, dos gardenias para ti, und wenn diese Blumen welken, dann weiß ich, que tu amor me ha traicionado, dann liebst du mich nicht mehr« – wie es Ibrahim Ferrer in dem Film gesungen hatte, oder zumindest doch so ähnlich. Schmittchen war also sanft und froh aus diesem Film gekommen und hatte eine Politesse bei der Arbeit gesehen. Sie steckte Strafzettel hinter die Windschutzscheiben der Autos, die vorm Kino parkten. Schmittchen, der mit dem Fahrrad da war und also gar nicht betroffen war, sagte mild und ganz im Gefühl kubanischer Solidarität: »Laß das doch, Mädchen, das bringt doch nichts.«
Die Politesse hatte ihn wütend angeschaut. »Ist das Ihr Fahrzeug?« hatte sie gefragt, und als Schmittchen sagte: »Nein!« hatte sie gezischt: »Dann halten Sie sich raus!«
Aber er war nun gerade mal dabei, die Welt schöner zu machen, ließ nicht locker und fing wieder an.
»Das ist doch blöd, was du da machst«, sagte er, »das bringt doch nichts. Die Leute sind im Kino, das Auto stört hier keinen, mach doch keinen Ärger, Liebchen. Das Leben ist doch viel zu kurz!«
Sie hatte ihn entgeistert angesehen und gesagt: »Sie duzen mich nicht, und ich verbitte mir Ihre unqualifizierte Einmischung«, und da war Schmittchens Vorsatz von Güte und einem geänderten Leben in Sanftmut auch schon vergessen und er sagte, was wir alle in diesem Fall gesagt hätten: »Du blöde Schnalle.«
Sie war näher getreten. »Was haben Sie da gesagt?« fragte sie und zückte schon ein neues Blöckchen. »Ich habe gesagt: du blöde Schnalle«, wiederholte Schmittchen artig, »und ich füge noch hinzu: warum arbeitest du nicht lieber im Puff?«
Jupp, der mit Schmittchen im Kino war, ihn vergeblich zurückhalten wollte und inzwischen auch am Stammtisch eingetroffen war, bestätigte, daß die Politesse daraufhin über Handy die Funkstreife herbeigerufen hatte und Schmittchens Personalien aufnehmen wollte. Danilo, der auch
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