Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen

Titel: Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
Vom Netzwerk:
dabei war, versicherte uns, daß er mehr als einmal Schmittchen an der Jacke gezogen und »laß gut sein, Schmittchen!« gesagt hätte, aber Schmittchen habe ja nicht hören wollen, und tatsächlich sei, sogar mit Blaulicht, eine Funkstreife vorgefahren. Daraufhin sei Schmittchen ohne Vorwarnung und erstaunlich behende getürmt, und Jupp und er, Danilo, hätten sich einem Verhör unterziehen müssen, ob sie den Beleidiger kennen würden. Natürlich hatten sie das abgestritten. Natürlich wurden ihre Personalien aufgenommen, natürlich sagte die Politesse: »Sie haben ihn Schmittchen genannt.«
    »Schmittchen?« habe Jupp gesagt, »wer soll das sein, kenn ich nicht, ich hab wahrscheinlich Schnittchen gesagt, weil ich noch was essen wollte. Wo gibt’s denn hier die besten Schnittchen, Frau Wachtmeister?« und die Politesse zeigte auf Danilo und sagte: »Nein, der da.«
    Danilo spielte überzeugend den Italiener, der kein Wort Deutsch sprach und rief ein übers andere Mal: »Ma dio spettinato, io non so assolutamente niente«, was etwa heißt: »Ungekämmter Gott« – angeblich ein toskanischer Fluch –, »ich weiß von nichts.« Schließlich habe man sie laufen lassen, und hier wären sie nun.
    Fritz brachte Biere und Schnäpse, und plötzlich ging die Tür auf und zwei Beamte in diesen entsetzlichen senffarbenen Hosen kamen mit der Politesse in die Kneipe. Schmittchen sprang auf und war weg durch den Hintereingang, er kannte sich hier aus, und die beiden Beamten natürlich sofort hinterher.
    »Sind die uns doch tatsächlich gefolgt«, fluchte Danilo, und Fritz rief:
    »Verdammt! Ausgerechnet heute ist die Tür zum Hof abgeschlossen, da kommt er nicht raus«, und da kamen sie auch schon mit Schmittchen zurück, nahmen seine Personalien auf und verkündeten eine Anzeige wegen Beleidigung. Danilo und Jupp waren gleich mit dran, und unsere Stimmung wurde noch schlechter, als sie es sowieso schon war, an diesem Tag, an dem Boris uns verlassen hatte.
    Als die Senfhosen endlich verschwunden waren, sagte Fritz: »Ist ja nicht gerade gut fürs Geschäft, was ihr hier veranstaltet«, und Tayfun, der als Dolmetscher bei Gericht in Türkenprozessen arbeitete und sich mit solchen Dingen auskannte, rechnete aus, daß diese ganze blöde Nummer Schmittchen an die dreitausend kosten würde. »Dafür mußt du viele Haare schneiden«, sagte er. Wir versprachen, zusammenzulegen, und damit war die Silvesterreise nach Kuba wohl fürs erste abgemeldet. Wenzel und Huberti fanden das letztlich auch besser so, Sozialismus ja, Fidel nein, sagten sie, und sie erzählten von Heiner Müller, der immer mit den Stasileuten gesoffen und versucht hatte, sie zum Sozialismus zu bekehren – sie hielten aber nichts davon. In der nächsten Karnevalssaison traten Wenzel und Huberti dann allerdings beim alternativen Rosenmontagsfest mit Che-Guevara-Mützen und rotem Stern als »Fidele Kubäncher« auf und legten eine bravouröse Nummer hin: Wir versaufen das Kapital, wir schunkeln für die Weltrevolution, und der Sozialismus ist doch im Verein am schönsten, nur keine Hektik wegen der Dialektik, der Kommunismus, der hat ’nen Rhythmus, der fängt zu schunkeln an, daß jeder mit muß, venceremos alaaf.
    Aber an diesem Abend, als unser Boris abtrat, gab es erst mal wieder eine hitzige Diskussion mit denen, die immer noch in der DKP waren wie zum Beispiel Lola, die nach wie vor ihren Mitgliedsbeitrag zahlte, die UZ abonniert hatte und schon an eine gesicherte rote Zukunft glaubte, wenn sich der Lackierer Johann nach dem achten Bier tatsächlich von ihr küssen und umarmen ließ. Lola ließ auf Fidel nichts kommen. Vor kurzem war ihr Vater gestorben – plötzlich wurden wir alle Waisenkinder –, und der hatte noch mit den Internationalen Brigaden gegen Franco gekämpft. Seit einem Jahr bemühte sie sich, auf seinen Dortmunder Grabstein Hammer und Sichel meißeln zu lassen, aber die Friedhofsverwaltung war strikt dagegen.
    »Das will eine Arbeiterstadt sein«, schimpfte Lola auf Dortmund. »Geht mal in Köln auf Melaten, da stehen ganze Karnevalsschlager auf den Grabsteinen.«
    Huberti fand, daß man die Symbole des Kommunismus und die des rheinischen Karnevals so leichtfertig nicht gleichsetzen dürfe, und Jupp bot Lola an, Hammer und Sichel jetzt selbst auf den Grabstein von Lolas Vater zu gravieren, das würde doch sowieso kein Mensch merken. Solche Sachen dürfte man eine Behörde nie fragen, sagte er, da müßte der Bürger schon mal beherzt selbst

Weitere Kostenlose Bücher