Der Welt den Ruecken - Erzaehlungen
auf den Direktor, und Lola erzählte vom Doppelmörder Bill Bailey, der in Delaware hingerichtet werden sollte, wo die Giftspritze üblich war. Die Morde hatte er jedoch 1979 begangen, zu einer Zeit, als man noch zwischen Strick und Giftspritze wählen durfte, und nun ärgerte er die Beamten und bestand auf Strick, aber sie hatten gar keinen Galgen mehr. In der Nacht vor der Hinrichtung mußten sie extra ein Galgengerüst bauen, und die Henker mußten erst wieder im Handbuch der U.S. Army nachschlagen, wie man einen hängt.
»Die Army weiß nämlich so was«, sagte Wenzel und erzählte von einem, der erschossen werden sollte, und das Gericht suchte per Anzeige ausgebildete Scharfschützen. Es meldeten sich Hunderte von Freiwilligen, die den Job nur zu gern machen wollten – fünf wurden ausgewählt und bekamen dreihundert Dollar pro Kopf, Jagdgewehre Kaliber dreißig, und einer hatte Platzpatronen, damit sie alle die Illusion haben konnten, nicht der Todesschütze zu sein. »Sie waren stocksauer über die Platzpatronen«, sagte Wenzel, »jeder hätte so gern mal wirklich einen erschossen.«
Es donnerte, und draußen brach endlich mit einem gewaltigen Regen das Gewitter los. Lou Reed sang »Take a walk on the wild side«, und wir guckten in unsere Biere. »Warum reden wir eigentlich heute dauernd vom Tod?« fragte Jupp, und Lola sagte: »Weil er immer mit am Tisch sitzt.«
Der Fernseher lief ohne Ton, Fritz zappte durch die Programme – überall muntere Menschen, die wußten, wo es langgeht. »Weltende« fiel mir ein, das Gedicht von Jakob van Hoddis, der fast vierzig Jahre seines Lebens in psychiatrischen Anstalten verbrachte, der vor Ameisen, Vögeln, Schnecken und vor allem vor Katzen freundlich grüßend den Hut zog und den sie im KZ als gemeingefährlichen Irren umgebracht haben. Weltende – »Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut, in allen Lüften hallt es wie Geschrei. Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei, und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.« Ich hatte Angst, abzustürzen und entzweizugehen. Die Flut stieg ja schon.
Ich bestellte mir noch ein Bier und einen Schnaps und ich dachte, was für ein Haufen Desperados wir doch waren. Wir warteten darauf, daß sich etwas veränderte, und ich glaube, daß die Veränderung auch schon oft still mitten unter uns gestanden hatte und wir hatten sie einfach nicht bemerkt und sie war weitergegangen. Für Boris Becker sollte sich jetzt alles ändern, das hatte er jedenfalls so beschlossen, ich beneidete ihn darum und ich hätte was darum gegeben zu wissen, was wohl Boris Becker gerade jetzt, in diesem Augenblick, machte, ob es einfach war, von einem Leben in ein anderes zu wechseln, und ob er wohl auch manchmal daran dachte, daß, wer mehr als ein Leben lebt, auch mehr als einen Tod sterben muß.
Ein Sender hat Geburtstag
Am Tag, als der Sender 50 Jahre alt wurde, war es heiß – 33 Grad. Der frühpensionierte Literaturredakteur, der Dichter und die ehemalige Journalistin schwitzten schon im Kleinbus, der sie um 9.30 Uhr vom Hotel abholte und zum Sender fuhr. Der ehemalige Literaturredakteur, Dr. Ernst Gauselmann, war dazu extra mit seiner neuen jungen Lebensgefährtin aus Irland angereist, wo er jetzt mit dem Vorsatz lebte, sich mit Whisky nach und nach zu Tode zu trinken. Er war ärgerlich, denn er hatte eigentlich den Bloomsday in Dublin feiern wollen, aber fatalerweise fiel der Bloomsday mit dem 50. Geburtstag des Senders zusammen, und da Gauselmann mehr als dreißig Jahre für diesen Sender gearbeitet hatte, hatte man ihn eingeladen. Einladen müssen, wie der Programmdirektor nach langen internen Pro-und-Contra-Diskussionen befand. Aber das wußte er nicht, er fühlte sich trotz Bloomsday, trotz der Hitze und der langen Reise geehrt und zeigte seiner jungen Freundin gern, wo er so lange vergeblich unter Banausen für die Sache der Literatur gewirkt, so viele Schlachten geschlagen und sich so viele Magengeschwüre eingehandelt hatte.
Der Dichter Albrecht Donner war dem Sender durch feinsinnige Filme verbunden, etwa über das Leben der Caroline von Günderrode oder »Deutsche Herbstlandschaften in deutschen Gedichten«, denn von seinen eigenen Gedichten konnte er nicht leben. Zur Zeit drehte er deshalb mißgestimmt einen Film über deutsche Weine, man hatte ihn von Dreharbeiten an der Mosel zum Fest geordert. Die ehemalige Journalistin Klara Zander, die jetzt nur noch Tierbücher schrieb, hatte früher den Jugendfunk des Senders
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