Der Weltensammler: Roman (German Edition)
Akazien an, während sie auf den Tod warten. Er befiehlt, das restliche Wasser nur zum Trinken zu verwenden. Wenn sie sparsam mit ihren Reserven umgehen, würden sie drei weitere Tage überleben, vielleicht vier. Er gibt den Befehl, den vollen Mond zu nutzen, die Nacht hindurch zu marschieren. Er droht, die Protestierenden ohne einen Tropfen Wasser zurückzulassen. Tag und Nacht kratzen sie sich einen Weg durch die Ebene. Sie durchqueren tiefe Flußbetten, sie versinken in dem brüchigen Sand, sie ziehen sich am anderen Ufer mühsam an verqueren Wurzeln hoch – sie lernen die Flüsse hassen, die kein Wasser führen. Nur Baobabs ragen aus der Eintönigkeit heraus. Schon um neun Uhr knurrt die Sonne. Die stacheligen Härchen des Büffelgrases bohren sich in ihre Beine hinein, die Tsetsefliegen stechen in jedem unachtsamen Moment durch den dicksten Stoff. Dornen sind zahlreicher als Blätter. Jegliche Feuchtigkeit ist aus dem Mund verdunstet. Um zehn Uhr bellt die Sonne. Sie zählen die Schritte bis zum nächsten Abwischen des Schweißes. Böse Vorahnungen haben die Lieder ersetzt, die sie zuvor gesummt hatten. Sie können ihre Lippen nicht mehr mit der Zunge benetzen.Um elf Uhr beißt die Sonne zu. Bevor Burton seinen schweren Kopf hebt, kämpft er sich durch zähe Gedanken, ob diese Anstrengung notwendig ist. Mörtel bricht vom Gaumen ab und fällt in Klumpen auf eine anschwellende Zunge. Höchste Zeit zu rasten, aber Bäume, die ohne Wasser zu überleben wissen, bieten nur den Schatten eines Skeletts. Das nächste Dorf scheint allein von einem pfeifenden Wind bewohnt zu sein. Von den geköpften Baobabs – wofür hatten die Weggelaufenen das Astwerk genutzt? – stehen verquere Spitzen hervor. Ein Totendorf, und die Träger wissen im Grunde ihres Tuschelns, daß es den Vorabend des Tages geschlagen hat, an dem die Geister zurückkehren, die nach einem weiteren Jahr ohne Regen die ausgetrockneten Flüsse zu betrauern haben. Plötzlich eine Bewegung hinter einem lehmstarren Haus, ein Huschen, dann ein Kröchen und die Hast eines verängstigten Gockels, rot wie Verhöhnung, weiß wie eine gebärlose Wolke. Der Kamm fliegt über die aufgeplatzte Erde. Keiner bewegt sich, außer Speke, der ruhig sein Gewehr anlegt und abdrückt. Es ist nicht viel Fleisch an dem Gockel; keiner der Träger will davon essen. Jeder nimmt den Schluck Wasser, der ihm zusteht, dann taumeln sie weiter. Burton weiß, wie sinnlos es gewesen wäre, ihre Angst vor diesem verlassenen Dorf in Frage zu stellen. Alle Köpfe sind gesenkt. Mit dem Hahn scheint die letzte Hoffnung auf ihre Wiedergeburt krepiert zu sein.
Burton bleibt stehen, er wartet, bis Speke ihn einholt. Sie sehen sich lange an. Es gibt nichts zu bereden. Die Unsicherheit über das, was ihnen bevorsteht, kann mit keinem Wort beschwichtigt werden. Sie einigen sich darauf, ihren verkaterten Gesichtern ein ermutigendes Grinsen abzuringen. Du quälst dich wohl gerne, sagt Burton zu Speke. Und dieser antwortet: Da haben wir etwas gemeinsam.
SIDI MUBARAK BOMBAY
Meine Brüder, meine Freunde, mitten im Land der Wagogo hätten meine Vorfahren mich fast zu sich geholt. Sie haben lange überlegt, und während sie überlegten, verkrustete meine Zunge, mein Gaumen, mein Zahnfleisch, ich spürte meine Zunge nicht mehr, dasFleisch in meinem Mund riß auf, es platzte auf, aber kein Blut drang durch die Ritzen, ich versuchte mir in die Lippen zu beißen, um wenigstens den weichen runden Geschmack meines Blutes zu spüren, aber es kam kein Blut heraus, vielleicht biß ich nicht fest genug, vielleicht war mein Blut schon verdunstet. So geht auch mein drittes Leben dahin, dachte ich, aus meinem ersten Leben wurde ich geraubt, am Ende meines zweiten Lebens wurde mir einiges wieder zurückgegeben, und nun sollte mir alles weggenommen werden, mitten im Land der Wagogo. Die Verzweiflung ist ein Mann, sagen wir, die Hoffnung eine Frau, vielleicht aber auch ein Mganga, ein Mganga, wie jener, den wir aufgesucht hatten, der uns andere Aussichten mit auf den Weg gegeben hatte. Wieso sollte er sich geirrt haben, dachte ich, die Zunge wird einschrumpfen, und trotzdem werde ich herauskommen aus dieser Wüste. Und wir wurden gerettet, wir wurden eingeholt von unseren Rettern, von einer anderen Karawane, die genau wußte, wo wir, keinen Tagesmarsch entfernt, Wasser finden konnten. Diese Karawane war nicht irgendeine Karawane, es war die Karawane von Omani Khalfan bin Khamis, und wenn ihr noch nie gehört
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