Der Weltensammler: Roman (German Edition)
kräftig, sehr gesund, wir aßen viel, und mein Vater, der gebrechlich war, für ihn war es schwierig, uns alle zu ernähren. Der Bruder meines Vaters half uns ein wenig, aber es war kaum genug. Wir wären nicht verhungert, unser Dorf war nicht wie diese Stadt, in der wir jetzt leben, keiner in unserem Dorf wäre glücklich gewesen, als einziger einen vollen Bauch zu haben. Aber wir waren oft hungrig. Deswegen, nur deswegen, erschien das Angebot dieses Herumtreibers wie ein Geschenk der Vorfahren. Wenn er das für mich bezahlte, was mein Vater von ihm forderte, würde die ganze Familie bis zur nächsten Ernte auskommen, und ich würde, so lange wie ich lebte, gut aufgehoben sein. So sah es mein Vater, und meine Mutter widersprach ihm nicht. Ich aber hatte Angst. Wenn ihr mich jetzt seht, denkt ihr vielleicht, wie kann es sein, diese Frau kennt keine Angst, weil ihr nur mit der Stärke vertraut seid, die ich mir zu eigen gemacht habe. Ihr müßt euch vorstellen, damals war ich schlank und zart, ich hatte Angst vor dem Gewicht, das dieser Mann auf mich laden würde. Ich wollte ihm nicht zur Frau gegeben werden, ich habe es meiner Mutter gesagt. Es hat nichts genutzt. Sie bat mich zu schweigen, der Entscheidung meines Vaters zu vertrauen.Dieses häßliche Stück fremder Mann zahlte meinem Vater am nächsten Morgen den geforderten Preis – natürlich ahnten wir nicht, mit was für Mitteln er mich erwarb –, und ich mußte mich verabschieden, von meinen Schwestern und meinen Brüdern, von den Mädchen meines Alters, von meinen Eltern. Und ich sage euch noch etwas, da dieser Mann glaubt, er müsse über mein Hinterteil in der Gosse reden, er hat mich nicht erobert mit seinen scheuen Gesten und auch nicht mit dem Messingdraht, den er meinen Eltern übergeben hat, nein, ich habe nicht zugelassen, erobert zu werden, ich habe ihm in der ersten Nacht gesagt, du darfst mich erst berühren, wenn ich es dir erlaube, bis dahin schlafen wir getrennt, und wehe, du achtest diesen meinen Wunsch nicht, ich schwöre dir, ich werde dir das abschneiden, von dem du dir einbildest, es mache dich zum Mann.
– Aber, wenn ich fragen darf, Mama Sidi, hat dein Vater so unrecht gehabt? Ist es dir nicht gut ergangen?
– Jetzt sprich aber die Wahrheit, Frau.
– Mein Vater hat gesehen, was kein Mensch sehen konnte. Obwohl dieser Mann sich weiter herumgetrieben hat, ist er jedesmal sicher nach Hause zurückgebracht worden. Wenn ihr aber die Wahrheit zu hören wünscht, sie lautet: Ich habe nie einen anderen Mann gehabt, also kann ich nicht vergleichen, wie es mir mit einem anderen ergangen wäre.
Das Wasser ist ihnen ausgegangen. In der Öde von Ugogo. Ein Land ohne lindernde Eigenschaften. Schleierwolken ranken sich am obersten aller Himmel. Kein Wunsch reicht so weit hinauf. Unter ihnen wird alles von einem unsichtbaren Ofen versengt. Dieses Land ist ein Bettler, Speke und Burton haben seinen ausgemergelten Körper vom Gipfel des Rubeho-Berges aus betrachtet. Ein Bettler mit gelblicher Haut, überwucherten Erdrippen, durchzogen von Wasserläufen, Narben der jahreszeitlichen Fluten, die über diesen ohnmächtigen Körper peitschen. Sie waren lange am Rande des Steilabbruchs stehengeblieben. Nichts außer ihre Selbstüberwindungzog sie in die Öde hinab. Die erfahrensten unter den Trägern haben sie vor diesem Land gewarnt. Einen Monat wird es dauern, bevor sie einen Hügel oder ein Tal sehen. Trotz all dieser unumgänglichen Widrigkeiten, das Wasser hätte nicht ausgehen müssen. Das war unnötig. Einige der Träger haben – absichtlich, bestimmt, Burton war sich sicher, sie haben nicht weiter als ihre Spucke gedacht – die letzten vollen Schläuche zurückgelassen. Die Zukunft wird für sich selbst sorgen, darauf haben sie vertraut, wenn sie überhaupt einen Gedanken darauf verwendet haben. Der Verlust ist erst zwei Tagesmärsche später aufgefallen, als das Wasser in den vorhandenen Schläuchen zur Neige ging. Kein Grund zur Sorge, dachte er zuerst. Sie würden rationieren und mit weniger als sonst auskommen. Er konnte nicht wissen, daß sie in eine Dürre hineingetaumelt sind. In jedem Dorf, in das sie hecheln, ist der letzte Brunnen versiegt, der letzte Tümpel verdunstet. Eigentlich sind es keine Brunnen, sondern vertiefte Mulden, deren Rand notdürftig befestigt ist. Die Hütten sind verwaist, die wenigen Menschen, auf die sie treffen, sind zerfurchte Gestalten, ihre Lippen rissig wie der Boden. Sie starren die vertrauten
Weitere Kostenlose Bücher