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Der werfe den ersten Stein

Der werfe den ersten Stein

Titel: Der werfe den ersten Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kanger
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schaute auf die Uhr, die auf dem Fußboden neben seinem Bett stand. Nichts hatte ihn geweckt. Dabei waren es noch zwei Stunden und fünfzehn Minuten, bis er aufstehen musste. Er streckte die Hand aus und drückte auf »Off«. Das Wecksignal war nicht mehr nötig.
    Jeden Samstagabend wurden die Wecker im Haus gestellt. Um acht Uhr sollte die Ruhe des Sonntagmorgens für alle beendet sein. Die anderen schliefen bis dahin durch. Die Eltern in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer. Peter in seinem Zimmer, das eigentlich nur eine umgebaute Kleiderkammer mit Dachfenster war. Stina in ihrem Zimmer. Keiner der anderen hatte am Wochenende Schwierigkeiten mit der unterbrochenen Alltagsroutine des Frühaufstehens. Aber Mikael wurde immer zu früh wach.
    Er stand sofort auf und zog Jeans und Pullover an. Später würde er sich umziehen. Er ging hinunter ins Bad und klappte die Toilettenbrille auf. Die Porzellanschüssel war voller gelber Flecken.
    Als er fertig war, drehte er sich um und begegnete seinem Gesicht im Spiegel vom Badezimmerschrank. Sein Blick wanderte über das Spiegelbild und blieb am rechten Ohr hängen.
    »Ein Ring im Ohr«, sagte er leise und kniff sich fest ins Ohrläppchen. »Wenn ich ausziehe.«
    In der Diele zog er Schuhe an und ging zum Schuppen hinaus. Ganz oben auf einem Regal links von der Tür stand eine Kiste. Er grub ein dickes Comicheft hervor. Es hieß »Wikingerblut« und auf dem Umschlag töteten zwei große blonde Männer einen dunkelhäutigen Mann mit Schwertern. Er nahm das Heft mit ins Haus, legte es auf die Plastikdecke vom Küchentisch, setzte sich und fing an zu lesen.
    Zwei Stunden später klingelten die Wecker in drei Zimmern fast gleichzeitig. Er erhob sich, ging wieder in den Schuppen und versteckte das Comicheft im Regal. Als er ins Haus zurückkehrte, kam seine Mutter die Treppe hinunter. Unter dem verwaschenen Frotteemorgenmantel sahen ihre Waden hervor. Ohne ein Wort ging sie an ihm vorbei in die Küche und stellte eine Kochplatte an.
    Der Vater kam erst herunter, als der Frühstückstisch gedeckt war. Er setzte sich an die Schmalseite des Küchentisches. Peter und Stina kamen gleich danach und setzten sich an die eine Längsseite, gegenüber von Mikael und der Mutter.
    Wortlos aß Mikael seine Cornflakes mit Milch. Nach dem Frühstück ging er in sein Zimmer und zog sich um. Der Schlips war schon geknotet, er brauchte die Schlinge nur über den Kopf zu legen und den Knoten unter dem weißen Kragen festzuziehen. Dann setzte er sich aufs Bett. Er saß ganz still und reduzierte seinen Atem, bis Brust und Bauch sich fast nicht mehr bewegten. Eine Stunde und zehn Minuten später hörte er die Stimme seines Vaters von der unteren Diele.
    »Wir fahren jetzt.«
    Sie quetschten sich in den Opel, der älter war als Peter, der Erstgeborene. Die Eltern auf den Vordersitzen und die Kinder hinter ihnen. Nur einmal in den fast vier Jahren, die sie in Surahammar wohnten, hatten sie den sonntäglichen Kirchbesuch ausgelassen. Es war ein Novembersonntag im letzten Jahr gewesen, da hatte der Vater Grippe gehabt. Einige Male im Jahr fuhren sie zur Zentralkirche, die einige Kilometer entfernt war. Aber dieser Sonntag war wie die meisten. Der Vater hatte schon am Abend vorher verkündet, dass sie in die Kirche im Ort gehen würden.
    Von außen betrachtet unterschied sich das lokale Gemeindehaus kaum von einem gewöhnlichen Einfamilienhaus. Nur das Kreuz und ein kleines Schild verrieten, welche Art Räumlichkeit in dem roten Holzgebäude untergebracht war.
    Im letzten Jahr hatte Mikael sich fast gar nicht mehr an den Freizeitaktivitäten der Kirchengemeinde beteiligt, während Peter in der Freizeit und auch sonntags aktiv war. Stina tat, was der Vater befahl, und beteiligte sich an allem, was von ihr verlangt wurde. Eine Diskussion darüber, dass er ganz aussteigen würde, hatte Mikael nie mit seinen Eltern gehabt.
    Die Zusammenkunft fand Punkt zehn Uhr statt. Der Leiter der Gemeinde sprach. Er saß ganz vorn in einem Lehnstuhl in dem Raum, der einmal das Wohnzimmer des Hauses gewesen war. Vor ihm saßen sechzehn Menschen auf Holzstühlen.
    Auf dem Schoß hatte der Leiter eine aufgeschlagene schwarze Bibel. Er rieb den Umschlagdeckel zwischen Daumen und Zeigefinger.
    »Kann jemand sagen, was Jesus damit gemeint hat?«
    Mikael rutschte ein wenig auf dem Stuhl nach unten und senkte den Blick. Peter reckte die Hand, und nach seiner Antwort zu urteilen, hatte er zugehört und die Frage verstanden.
    Eine Stunde

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