Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition)
Budweiser aus der Küche und trank es im Bett, auf Kissen gestützt, denn ich wollte nicht mehr im Liegen meinen Herzschlag hören.
DIE WOHNUNG
Ich entsinne mich nicht, dass ich eingeschlafen bin, aber das muss ich wohl, denn das Nächste, an das ich mich erinnerte, war, dass ich mit schmerzhaft verrenktem Nacken auf dem Kissen und zwei leeren Flaschen Budweiser auf dem Nachttisch aufwachte. Der Fernseher lief, und eine Blondine mit zu viel Lippenstift berichtete von sieben Morden mitten in Los Angeles und dass die Polizei mit weiteren rechne, von wegen Vollmond und so weiter.
Es war sieben Uhr morgens, ungefähr eine Stunde, bevor ich normalerweise aufstand, aber ich duschte, rasierte mich, zog mich an und setzte mich mit einer Tasse Kaffee und ein paar Äpfeln an den Schreibtisch. Dort lag seit gestern Abend immer noch meine Aktentasche. Ich öffnete sie und zog mein MacBook heraus. Normalerweise schreibe ich meine Gutachten im Büro, aber ich wollte früh anfangen, weil es nicht lange dauern würde, bis das Telefon klingelte, wenn es in der Nacht sieben Morde gegeben hatte. Ich war einer von vier Psychologen im Dienst des LAPD, aber eine Kollegin lag im Krankenhaus und ließ sich ihren Busen liften und ein andererwar zum Skifahren in Aspen, was die doppelte Arbeitslast für mich und meinen Kollegen Anton Rivron bedeutete.
Das Dezernat bestand darauf, dass alle Mordverdächtigen möglichst rasch von Psychologen untersucht wurden, und zwar schon seit Anfang der Neunzigerjahre. Vorgeblich im Interesse der Gerechtigkeit und so ein Fairplay-Scheiß, doch es war kaum mehr als eine kostensparende Übung. Eine vollständige Ermittlung in einem Mordfall war überflüssig, falls sich die Unzurechnungsfähigkeit des Täters herausstellte. Viel einfacher und billiger war es, ihn den Psychiatern zu überlassen, ihn in einer sicheren Anstalt einzusperren und die Schlüssel wegzuwerfen, statt zu versuchen, ein Motiv und die Gelegenheit zur Tat und den ganzen Kram nachzuweisen, wie sie es immer im Fernsehen anstellen. Und wenn der Täter nicht verrückt war, dann brauchte man gleich zu Beginn der Ermittlungen unbedingt ein psychologisches Gutachten in der Akte. Damit verhinderte man, dass die Verteidigung, sobald die Anklage fix und fertig war, nicht einfach versuchte den Verschworenen weiszumachen, der Täter habe vorübergehend nicht alle Tassen im Schrank gehabt.
Das kam früher öfter vor – Täter hockten in ihren Zellen und ließen die Jungs von der Mordkommission einen wasserdichten Fall zusammenzimmern, um dann urplötzlich Selbstgespräche zu führen, die Augen zu verdrehen und zu behaupten, sich an nichts erinnern zu können. Oder sie verfielen auf einen beliebigen von einem Dutzend Tricks, der sie ihrer Meinung nach aus dem Knast in die Psychiatrie bringen würde. Dort gedachten sie dann auszuharren, bis sie die Behörden entweder überzeugen konnten, dass sie geheilt waren, oder bis ihnen die Fluchtgelang. Und die Wartezeit ließ sich in der Psychiatrie doch angenehmer verbringen als in einem Hochsicherheits gefängnis.
Das Dezernat brauchte jemanden, der eine kurze und knackige, aber dennoch zuverlässige Entscheidung über die geistige oder sonstige Gesundheit von Verdächtigen fällte, damit die Detectives wussten, wie sie weiter zu verfahren hatten. Sie hatten mich über Headhunter in England aufgespürt, um das System aufzubauen und die drei Psychologen anzuwerben, die mit mir als freie Berater zusammenarbeiteten. Ich hatte an der Universität London an einem Computerprogramm gearbeitet, das die Zurechnungsfähigkeit eines Menschen beurteilen und mit Mustern verschiedener Geistesstörungen vergleichen konnte. Ich hatte mich zuerst für diesen Bereich interessiert, nachdem ich die Arbeit von Professor David Carter an der Universität Sussex verfolgt hatte, den die Polizei in Großbritannien immer anrief, wenn sie einen Serienmörder oder einen vielfachen Vergewaltiger nicht dingfest machen konnte. Er hatte eine Methode gefunden, Psychogramme per Computer zu erstellen, die auf den von der Polizei gefundenen Indizien beruhten. Anhand seiner so gewonnenen Täterprofile erleichterte er die Polizeiarbeit ungemein.
Ich begann mich dafür zu interessieren, was am anderen Ende der Ermittlungen geschah, nachdem die Täter geschnappt worden waren. Für meine Dissertation entwickelte ich Computer modelle verschiedener Geistesstörungen und krimineller Neigungen, auf Grundlage von fast tausend Interviews, die ich in
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