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Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition)

Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Leather
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Ohrenknackt; ich schlucke schwer, stelle das leere Glas ab und schenke nach. Dann schlitze ich das Kuvert mit einem Brieföffner auf, der die Form eines spanischen Miniaturschwerts hat. Es ist schwül, zu schwül zum Atmen, und mein Schädel fühlt sich an wie eine überreife Wassermelone kurz vor dem Platzen. Ich werfe einen Blick auf die Uhr an der Wand, und es sieht so aus, als sei sie stehen geblieben, als wäre ich für immer in diesem einen Augenblick eingeschlossen wie ein Insekt in Bernstein, und dann blitzt es, während sich Millionen Volt aus den Wolken entladen. Der Zauber ist gebrochen und der Sekundenzeiger tickt wieder.
    Ich lasse den Inhalt des Kuverts auf den Schreibtisch gleiten, einen Stoß Fotokopien, die wie Spielkarten ausgebreitet liegen, und eine Schwarz-Weiß-Fotografie, sechs mal vier Zoll, von einem Mädchen. Des Mädchens. Das Bild ist eine Nahaufnahme ihres Gesichts, umrahmt von schulterlangem schwarzen Haar, in der Mitte gescheitelt, ein junges, herzförmiges Gesicht ohne Furchen oder Falten, ein lächelnder Mund, leicht geschwungene Augenbrauen, die ihr einen amüsierten Blick verleihen, als hätte man soeben mit ihr anzubandeln versucht – mit einem Spruch, den sie schon tausendmal gehört hat. Auf der rechten Seite liegt das Haar hinter dem Ohr, anscheinend hat sie es unmittelbar vor der Aufnahme dahintergesteckt. Weil es ein Schwarz-Weiß- und kein Farbfoto ist, erkennt man die Farbe ihrer Augen nicht, nur, dass sie dunkel sind. Tiefschwarz. Nicht dunkelbraun, nicht grau, sondern vollkommen schwarz, so schwarz wie ihr Haar. Schwarz wie die Nacht. Vorwurfsvoll starren mich diese Augen vom Foto an, und als ich es neben die Papiere lege, sehen sie mich immer noch an. Immer noch vorwurfsvoll.
    Der Name in den Protokollen, ihr Name, lautet Terry Ferriman, aber im Lauf der Ermittlungen fügten wir noch Lisa Sinopoli hinzu. Und noch ein paar weitere Pseudonyme. Warum es nur Fotokopien der Protokolle sind und keine Originale? Weil sie die Originale verschwinden ließen, darum, zusammen mit den digitalen Aufzeichnungen, die ich von unseren Sitzungen gemacht habe. Ich ahnte ja, dass sie das tun würden, darum hatte ich alles je zweifach kopiert und einen Satz der Unterlagen im Schließfach deponiert, das ich unter falschem Namen gemietet hatte. Heute war ich zum ersten und letzten Mal seit damals wieder auf der Bank, denn ich war mir nie sicher, ob ich beschattet wurde oder nicht. Einen zweiten Satz Kopien hatte ich meinem Anwalt, Chuck Harrison, in einem versiegelten Umschlag anvertraut, doch binnen achtundvierzig Stunden nach der Übergabe waren sie verschwunden, und er bestritt, sie je gesehen zu haben. Der gute alte Chuck. Was ihm wohl zugestoßen ist? Seine Leiche hat man nie gefunden.
    Meine Nackenhaare sträuben sich, ich zittere. Mir ist so, als ob mich jemand beobachtet, und ich wirbele herum, während es blitzt. Da ist ein Gesicht am Fenster, ein eingefallenes, gramzerfurchtes Gesicht mit tief liegenden Augen, wilder Mähne und offenem Mund. Mein Herz tut einen Sprung und ich hebe abwehrend die Hände, aber die Gestalt im Fenster macht dasselbe, und ich merke, dass es mein Spiegelbild ist. So weit ist es schon mit mir gekommen; ich erschrecke vor Schatten. Meine Hände zittern wieder, schlimmer als vorher, und die Papiere rascheln wie welkes Laub im Wind. Ich lasse sie fallen und lege meine Hände unter den Lichtkegel der Lampe. Ich weiß nicht mehr genau, wann meine Hände runzelig geworden sind,es war ein allmählicher Prozess, aber ganz offensichtlich sind das nicht mehr die Hände eines jungen Mannes; die bläulichen Venen zeichnen sich deutlich unter der rauen, sonnengebräunten Haut ab, und die Linien über den Knöcheln sind tiefe Furchen, die nicht verschwinden, wenn ich die Fäuste balle. Da sind dunkelbraune Leberflecke und vereinzelte Muttermale, und ich bin sicher, dass ich die noch nicht hatte, als ich jünger war. Wuchernde Hautzellen. Die Anzeichen des Alters. Lieber Gott, ich will nicht alt werden und ich will nicht sterben. Ich will so bleiben, wie ich bin. Nein, das stimmt gar nicht – ich will genauso sein, wie ich mit ungefähr dreißig war. In meiner Jugend Maienblüte. Bevor sie in mein Leben trat. Ihre kohlschwarzen Augen starren mich vom Foto an und jetzt scheint ihr Bild zu lächeln.
    Na ja, ich weiß nicht, wie viel Zeit mir noch bleibt, also fange ich besser mal an. Auf welchen Anfang hatten wir uns doch gleich geeinigt? Ach ja, ich weiß. Es war einmal

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