Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition)
sagte sie. Sie legte den Hörer auf und kehrte mir den Rücken zu, während die beiden Wärter sie in die Mitte nahmen. Ein dritter Wärter schaltete das Notebook aus und hob es auf. Terry schaute sich nicht mehr um, als sie die stählerne Gruft verließ. Ich merkte, dass ich noch immer den Hörer in der Hand hielt und ihn so fest umklammerte, dass meine Knöchel weiß waren und sich die Sehnen unter der Haut spannten.
Das war das letzte Mal, dass ich sie sah. Ich wurde zurück ins Erdgeschoss begleitet, ein Mann im weißen Kittel gab mirwieder eine Spritze, und als ich aufwachte, war ich zu Hause. Das Notebook stand auf dem Schreibtisch. Das war heute Nachmittag. Rund eine Stunde fühlte ich mich schwer angeschlagen und dann ließ ich ihre Antworten durch die neueste Version des Programms laufen. Als ich die Ergebnisse überflogen hatte, nahm ich den Wagen und fuhr zur Bank, öffnete das Schließfach und holte die braune Aktenmappe heraus. Es waren nicht so sehr die Notizen zum Fall, die ich suchte, sondern das Bild. Ich wollte ihr Bild auf dem Schreibtisch haben, während ich wartete. Auf dem Heimweg sah ich ständig in den Rückspiegel, aber offenbar folgte mir niemand. Jedenfalls war da kein roter Kleinlaster, aber er würde wohl auch nicht zehn Jahre lang dasselbe Fahrzeug benutzen, oder?
Das wärs dann also. Jetzt warte ich einfach ab. Ich sitze hier an meinem Schreibtisch und warte, dass sie mich holen. Dauert sicher nicht lange. Die Frage ist nur, wer mich zuerst erwischt. Terrys Freund, der mich offensichtlich zehn Jahre lang observiert und gewartet hat, dass ich sie besuche, oder die Männer in den Anzügen. Und was geschieht, wenn sie mich schnappen?
Mit zittrigen Händen schenke ich mir einen Drink ein und setze das Glas an den Mund. Ein bisschen läuft mir am Kinn herab, aber das meiste kann ich doch runterschlucken. Als ich das Glas abstellen will, blitzt es, und ich lasse es beinahe fallen. Meine Nerven liegen blank.
Vertraue ich ihr, das ist die Frage. Kann ich ihr vertrauen? Oder glaube ich den Männern in den Anzügen? Wenn sie die Wahrheit gesagt hat, dann muss ich ihrem Freund nur sagen, wo sie ist, und abwarten, dass sie ihr beim Ausbruch helfen. Aber wie lange würde das dauern? Marion ist der Superknast.Man kann sich ihm nicht ungesehen auf zehn Meilen nähern. Es gibt weniger als vierhundert Gefangene und Tausende von Wärtern, und selbst innerhalb des doppelten Sicherheitszauns und seinen Rollen von rasiermesserscharfem Stacheldraht kann man sich nicht mehr als ein paar Meter bewegen, ohne durch ein Stahltor oder an einer Kamera vorbeizugehen.
Aus Marion gelingt nur äußerst selten ein Ausbruch. Es ist zudem nicht bloß ein Ort, um gewalttätige Verbrecher festzuhalten. Die Regierung hat dort eine besondere Einheit installiert – sieben Zellen, in denen sie Spione mit derart geheimen Informationen unter Verschluss halten, dass man ihnen den Kontakt mit anderen Insassen nicht gestatten kann. Niemals. Und Terry hat mir gesagt, dass sie und drei andere wie sie achtzehn Ebenen unter der Erde festgehalten werden. Wie in Gottes Namen gedachte sie da zu entkommen? Mit Geduld und Spucke könnte sie vielleicht mehr von ihren Artgenossen ins Gefängnissystem einschleusen, per Marsch durch die Institutionen bis ins Marion Prison. Doch es würde Jahre dauern, vermutlich sogar Jahrzehnte, einen gefälschten beruflichen Werdegang zu basteln, samt Referenzen und jahrelanger Arbeit in anderen Gefängnissen. Ich könnte tot sein, bevor sie auch nur annähernd dazu kämen, sie herauszuholen. Vielleicht planen sie auch, sich an einen der Wärter heranzumachen, ihn zu erpressen oder seine Familie zu entführen. Aber ich weiß, dass die Wächter dort handverlesen sind und in regelmäßigen Abständen praktisch auf Herz und Nieren geprüft werden. Es wäre so schwierig, dass es buchstäblich unmöglich ist. Und was soll ich tun, während sie ihren Fluchtplan aushecken? Soll ich warten und Tag für Tag älter werden? GreigTurners Schildkrötengesicht blitzt vor meinem geistigen Auge auf. Wie lange soll ich ihrer Meinung nach warten? Trauen sie mir überhaupt? Wäre es nicht besser für sie, mich zu töten, damit sie jede Menge Zeit haben?
Die Fragen quälen mich und ich trinke noch einen Whiskey. Die Lampe auf dem Schreibtisch flackert, und ein Donnergrollen rüttelt an den Fenstern, als ich die kleine Flasche mit den Kapseln nehme und die Versieglung abreiße. Es knackt leise. Ich drücke den Deckel und
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