Der Wettflug der Nationen
Rennens ausscheiden oder durch Pannen stark aufgehalten werden, so darf man nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung doch annehmen, daß der Sieger von diesen Zwischenfällen nicht betroffen wird und das Rennen mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von wenigstens 600 Stundenkilometern beendet. Das ergibt auf dem Weg von 40.000 Kilometern eine Zeit von rund 70 Stunden. Man darf die Stundenzahl des Siegers also in dem Intervall von 30 bis 70 als wahrscheinlich annehmen. Es stehen demnach 40 verschiedene Stundenzahlen als Möglichkeit offen, von denen nur eine gewinnen kann. Die übrigen 30 müssen verlieren. Die Gewinnchance für die einzelne Stundenzahl beträgt nur 1 : 39. Sie werden jetzt begreifen, meine Herren, daß Harrow & Bradley ein vorzügliches Geschäft machen, wenn sie die Stundenwetten 1: 30 legen.“
Frank Kelly nickte, John Sharp rieb sich die Stirn.
„Ich glaube, ich habe Ihre Ausführungen verstanden, Mr. Bunnin“, begann er zögernd. „Aber wenn es der Zufall will, daß die meisten Wetter gerade auf die Siegeszahl gesetzt haben, dann ist der Buchmacher ja doch bankrott.“
„Das war es ja, was ich vorhin meinte“, warf Tredjakoff ein, „als ich sagte, der Buchmacher muß sein Buch rundmachen. Im vorliegenden Falle heißt das, daß er möglichst gleich hohe Wetten auf die verschiedenen als wahrscheinlich in Betracht kommenden Stundenzahlen abschließen muß. Wenn die Herren Harrow & Bradley beispielsweise Einsätze von je 50.000 Dollar auf jede der 40 möglichen Stundenzahlen bekommen, wäre ihr Buch vollkommen rund. Sie hätten dann eine
Einnahme von 2 Millionen Dollar. Für die 50.000 Dollar, die auf die richtige Stundenzahl des Siegers gesetzt werden, zahlen sie anderthalb Millionen Dollar aus und können einen Reingewinn von 500.000 Dollar in die Tasche stecken. Wie Sie sehen, ist das für die Herren Harrow & Bradley ein sicheres Geschäft, ohne jedes Risiko.“
John Sharp stützte das Kinn in die Hand. „Sie meinen, Mr. Tredjakoff, daß Summen in dieser Höhe auf das Reading-Rennen gewettet werden?“
„Ich wählte die Zahlen nur beispielsweise, Mr. Sharp. Ich vermute, daß die Summen in Wirklichkeit sehr viel höher sind. Seitdem die Firma ihr Büro hier eröffnete, stürmen die Leute das Haus, und das wird so weitergehen, bis der Startschuß zum Rennen fällt.“
„Und während des Rennens selbst?“ fragte John Sharp. „Für Pferderennen werden meines Wissens doch Wetten angenommen, während das Rennen schon gelaufen wird.“
Tredjakoff zögerte mit der Antwort. „Das ist eine etwas komplizierte Geschichte, Mr. Sharp. Die Dinge liegen beim Reading-Rennen anders als bei einem Pferderennen. Ich müßte etwas länger ausholen, um Ihnen das zu erklären. Wenn Sie es wünschen, bin ich gern bereit.“
Direktor Kelly hatte schon ein paarmal auf seine Uhr gesehen.
Nunmehr aber erhob er sich. „Lieber Sharp, es wird höchste Zeit für mich, wenn ich den Chicagoer Expreß noch erreichen will. Entschuldigen Sie mich für heute, Sie haben ja interessante Gesellschaft an den Herren hier.“
John Sharp schüttelte ihm die Hand. „All right, Kelly, kümmern Sie sich um Ihren Zug. Es bleibt bei unserer Verabredung, übermorgen sehe ich Sie in Bay City.“ Während er zu Kelly sprach, entging es ihm, daß Bunnins Hand einmal wie spielend über sein Trinkglas hinfuhr.
Frank Kelly war gegangen. John Sharp hörte mit Interesse, was ihm die beiden Russen über die Schwierigkeiten der
Buchmacher erzählten, auch noch während des großen Reading-Rennens ihre Bücher rundzuerhalten.
„Ganz recht, Mr. Tredjakoff. Ich verstehe Sie vollkommen. Wenn das Rennen schon fünfzig Stunden im Gange ist ... fallen die Stundenzahlen von 30 bis 50 aus ... die Odds müssen immer kleiner ...“, nur noch mit Anstrengung hatte er die letzten Worte herausgebracht, als ob er mit schwerer Schläfrigkeit zu kämpfen hätte. Jetzt ließ er sich in den bequemen Sessel zurücksinken. Den Kopf an die Seitenlehne gestützt, ließ er sich vom Schlaf überwältigen ...
Ein schneller Blickwechsel zwischen den Russen. Im Augenblick stand Bunnin neben dem Schlummernden. Mit einer unbeschreiblichen Gewandtheit glitten seine langen Finger in dessen Kleidung. Kein Zweifel, es war ein Meister der Taschendiebe, der sich hier betätigte. In wenigen Sekunden waren seine Hände bis zu den Geheimtaschen John Sharps vorgedrungen. Eine Anzahl von Schlüsseln wurden abgedrückt. Eine Brieftasche wurde durchblättert. In fliegender
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