Der Wettflug der Nationen
Hast notierte Tredjakoff das Kennwort für einen Banksafe, das Bunnin ihm zuraunte.
Mit einem tiefen Atemzug richtete John Sharp sich wieder im Sessel auf. Kaum eine Minute hatte er geschlafen. In sein Ohr drangen die Worte Tredjakoffs, der ihm die Schwierigkeiten auseinandersetzte, die Odds für die Wetten während des Reading-Rennens den veränderten Gewinnchancen anzugleichen.
„Ich weiß nicht, Mr. Tredjakoff ... ich glaube, ich war einen Augenblick nicht ganz anwesend ...“
„Oh, ein Unwohlsein, Mr. Sharp? ... Vielleicht die ungewohnte Frühlingsluft heute?... Darf ich Ihnen etwas Eiswasser einschenken?“
Sharp trank aus dem dargebotenen Glase. In wenigen Minuten fiel die Müdigkeit von ihm ab. Er konnte den Mitteilungen der Russen wieder folgen. Als er sich von seinen Gästen trennte, nahm er die Erinnerung an eine höchst anregende und interessante Stunde mit.
An der Westseite der Bucht, der Bay City den Namen verdankt, liegen die Reading-Werke. Am laufenden Band wurden hier die kleinen Privatflugzeuge zusammengebaut, die besonders nach Kanada hin reißenden Absatz fanden. Andere Abteilungen der Werke beschäftigten sich mit der Serienfabrikation der großen mehrmotorigen Verkehrsmaschinen, die für den Einsatz auf den offiziellen Luftlinien der Vereinigten Staaten bestimmt waren. Überall wurde nach den Methoden einer aufs höchste rationalisierten Fabrikation gearbeitet.
Zehn Minuten ein Arbeitstakt! Das bedeutete, daß alle zehn Minuten ein fertiges Flugzeug das Hauptband verlassen mußte. Sechs Flugzeuge in der Stunde, 48 Flugzeuge im Verlauf des achtstündigen Arbeitstages waren das Ergebnis der konzentrierten Tätigkeit, die hier unter Zuhilfenahme aller technischen Mittel geleistet wurde.
Wie oft hatte John Sharp in diesen Räumen geweilt und mit der Uhr in der Hand das präzise Ineinandergreifen der Arbeitsvorgänge verfolgt. Heute galt sein Interesse anderen Dingen. Mit Frank Kelly stand er vor den Montagehallen am Ufer des Lake Huron und ließ sich den Wind um die Stirn wehen. Alle seine Gedanken kreisten um den Reading-Preis und die Möglichkeiten, ihn für die Reading-Werke zu gewinnen.
„Wir haben es mit einer schweren Konkurrenz zu tun, Kelly“, sagte er, „die letzten Nachrichten aus Europa machen mir Sorgen.“
Frank Kelly machte eine abwehrende Bewegung. „Ach was, Sharp! So leicht lassen wir uns hier in Bay City nicht ins Bockshorn jagen. Was sind denn das für Nachrichten, die Ihnen den Appetit verderben?"
John Sharp faßte ihn unter den Arm und schritt mit ihm den langen Landungssteg entlang, der vor den Werken in die Bucht hinausgebaut war.
„Das sind zunächst die Meldungen der Italiener.“ Kelly schütteile den Kopf. „Ah, die Italiener! Sehen Sie sich nur ihre Flugroute an! Eine unsinnige Route! Mehr als der halbe Erdumfang ist Wasserweg ohne natürliche Stützpunkte. Bei Notwasserungen sind die Chancen viel schlechter als bei Notlandungen. Ich glaube, die Herrschaften werden ihren Entschluß noch bitter bereuen.“
„Und ich glaube, Kelly, daß Sie sich da in einem schweren Irrtum befinden, Die italienische Regierung beabsichtigt, eventuell diese Oberseestrecke mit gecharterten Schiffen zu besetzen. Soviel ich gehört habe, soll der Abstand der einzelnen Schiffe voneinander nur fünfhundert Kilometer betragen. Stellen Sie sich einmal vor, was das bedeuten würde. Etwa alle halben Stunden fänden die italienischen Piloten ein Schiff ihres Landes mit allem Nötigen an Bord, falls sie es brauchen. Diese Seestrecke würde dadurch viel sicherer als die langen Landstrecken, die von anderen Nationen überflogen werden müssen. Mir sind schon Bedenken aufgestiegen, ob wir unsere eigene Rennstrecke sehr glücklich gewählt haben.“
Kelly überlegte einen Augenblick. „Nun ja, Sie mögen recht haben. Durch die Anlegung einer derartigen Etappenstraße verliert der Überseeflug viele seiner Gefahren.“
„Und was ich über die Flugzeuge gehört habe, die Rom in das Rennen schicken will, kann mich auch nicht heiter stimmen. Sechs Maschinen vom gleichen Typ. Die berühmten Vier-Düsen-Gamma-Romea-Flugzeuge. Gut und gern 1.000 Kilometer Stundengeschwindigkeit ... Die Maschinen sind so zuverlässig, daß wenigstens eine von ihnen das Rennen wohl sicher ohne Panne beenden dürfte. Ich halte die Italiener für unsere gefährlichsten Nebenbuhler. Aber auch das, was mir über die englischen und französischen Maschinen zu Ohren kam, läßt einen äußerst scharfen Kampf um den
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