Der Wettlauf zum Suedpol
testen – mit fatalen Folgen.
Auch die Pläne, die Scott für den erneuten Vorstoß zum Pol machte, bewegten sich meist in eingefahrenen Gleisen: Gegen Hunde und Skier hegte er weiterhin starke Vorurteile, wollte diesmal aber sibirische Ponys
einsetzen, so wie es Shackleton ihm vorgemacht hatte. Seine einzige wirklich neue Idee war ein Motorschlitten mit Kettenantrieb, dessen Entwicklung er persönlich angeregt hatte. Zu letzten Tests kam er im Frühjahr 1910 nach Norwegen und beschloss, drei der abenteuerlichen Gefährte mit in die Antarktis zu nehmen. Einmal mehr suchte Scott bei dieser Gelegenheit auch den Rat von Nansen, der den Botschafterposten in London an den Nagel gehängt hatte und nach Norwegen zurückgekehrt war: »Diesmal nehmen Sie ja Skier mit«, versuchte Nansen den verdutzten Scott bei der Ehre zu packen. »Shackleton war ja ohne Skier unterwegs und erzählte mir, als er kürzlich beim Lunch bei mir war, wenn er gewusst hätte, wie man Skier richtig einsetzt, hätte er den Pol erreicht. Und das glaube ich auch.« Nansen warnte Scott jedoch davor, die Skier einfach nur einzupacken, ohne mit ihnen umgehen zu können, und empfahl ihm einen Experten – den jungen Abenteurer Tryggve Gran. So kam es, dass mit ihm ausgerechnet ein Norweger als einziger Ausländer an Scotts Antarktisexpedition teilnahm.
Ein anderer Norweger freilich war für Scott nicht zu sprechen. Mehrmals versuchte der Engländer während seines Aufenthalts in Norwegen, Kontakt zu Roald Amundsen aufzunehmen. Scotts Plan war eine enge Zusammenarbeit der norwegischen Nordpol- und der britischen Südpolexpedition; unter anderem wollte er vergleichende Messungen in Nord und Süd anregen. Zuletzt bemühte sich sogar Gran darum, ein Treffen der beiden Polarforscher zustande zu bringen, doch Amundsen blieb unauffindbar. Niemandem kam der Gedanke, dass er etwas zu verheimlichen hatte.
Doch Roald Amundsen hatte gute Gründe, Scott aus dem Weg zu gehen, wollte er nicht gezwungen sein, ihm ins Gesicht lügen zu müssen. In der Tat hatte er noch in der ersten Septemberwoche 1909, als die ersten Meldungen über die Bezwingung des Nordpols über die Ticker gelaufen waren, seine Pläne radikal geändert. Statt zum Nordpol würde er mit der Fram zum Südpol aufbrechen! Doch dass er das tat, sollte bis auf Weiteres niemand erfahren. Es war ein umfassendes Täuschungsmanöver – er täuschte Norweger und Briten, König und Regierung, Freunde und Konkurrenten und auch sein großes Vorbild Nansen. Es war ein moralisches Dilemma. Durfte er den Mann hinters Licht führen, der seine eigenen Pläne hintangestellt und ihm die Fram überlassen hatte, um mit ihr in die
entgegengesetzte Richtung zu fahren? Amundsen drückte sich um eine ehrliche Antwort, und er hoffte, dass ihm später der Erfolg recht geben würde. Dass er erfolgreich sein würde, wenn es ihm gelänge, rechtzeitig in der Antarktis zu sein, war für ihn eine ausgemachte Sache. In den Plänen von Scott sah er die phantasielose Wiederholung von ausgetretenen Pfaden. Die einzige Unsicherheit stellten die Motorschlitten des Engländers dar. Dass sie unter polaren Bedingungen nicht funktionieren würden, konnte er nur hoffen, wissen konnte er es nicht.
Abb 11
Den Nordpol vor Augen, den Südpol im Sinn: Roald Amundsen (hier in seinem Arbeitszimmer, Aufnahme vom 7. März 1909) ging Scott, dem eine Zusammenarbeit mit dem Norweger vorschwebte, geflissentlich aus dem Weg.
Amundsen fürchtete die Zurückweisung durch Nansen, wie er sich um die politische Unterstützung und die ohnehin auf wackligen Füßen stehende Finanzierung des Unternehmens in seinem Heimatland Sorgen machte, sollte die Kursänderung zu früh bekannt werden. Also tat er weiter so, als plante er eine Expedition nach Norden, während er in Wahrheit die Fahrt nach Süden vorbereitete. Auch seiner Mannschaft schenkte er
zunächst keinen reinen Wein ein. Wieder einmal hatte er sie nach dem Prinzip »klein, aber fein« ausgesucht. Sein Landungsteam würde nicht mehr als zehn Leute umfassen, Wissenschaftler blieben erneut außen vor. Seine Männer waren zumeist erfahrene Polarforscher oder Seeleute mit Eismeererfahrung, manchmal beides in einer Person. Der Hundeführer Helmer Hansen und der Koch Adolf Lindstrøm hatten ihn schon auf der Gjøa begleitet, Hjalmar Johansen hatte die berühmte Driftreise von Nansen mitgemacht, und Sverre Hassel war unter Otto Sverdrup vier Jahre lang auf der Fram durch die Gewässer um Grönland und den
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