Der Wettlauf zum Suedpol
Beobachter Fridtjof Nansen aus dem Turm seines schlossartigen Anwesens »Polhøgda« und sah sein altes Schiff den Fjord heraufkommen. Dann wandte sich die Fram an der Landspitze, wo der Bunnefjord in den größeren Kristianiafjord überging, südlich Richtung Skagerrak und verschwand im Zwielicht der skandinavischen Sommernacht. Später würde Nansen sagen, dass dies der »bitterste Moment« in seinem Leben war. Amundsen dagegen war guter Dinge. »Still und gelassen fahren wir aus dem Kristianiafjord. Bald wird das Land außer Sicht sein und die Fram
ihre dritte Reise angetreten haben. Gott gebe, dass sie uns zur Ehre gereicht! «
Die Stimmung an Bord war schlecht. Die Mitglieder der Mannschaft hatten das Gefühl, dass ihnen etwas verheimlicht wurde. Doch es sollte noch zwei ganze Monate dauern, ehe sie in das Geheimnis eingeweiht wurden. Während dieser Zeit kreuzte die Fram zu Testzwecken durch den Nordatlantik und lief im Juli noch einmal Bergen an, um den Dieselmotor überholen zu lassen. Anfang August wurden in Kristiansand die gut 100 Schlittenhunde und letzter Proviant an Bord genommen; dann begann die Fahrt nach Süden.
Am 6. September 1910 ging die Fram vor Funchal auf Madeira vor Anker. Leon Amundsen, der Bruder des Expeditionsleiters, kam vom Hafen herüber, wo er Obst, Gemüse und Wasser sowie frisches Fleisch für die Hunde geordert hatte. Drei Tage später war das Schiff bereit zum Auslaufen. Im letzten Moment, als die meisten Männer an Bord gerade noch die Abschiedsbriefe an ihre Angehörigen verfassten, rief Amundsen die Mannschaft an Deck. Sein Stellvertreter Thorvald Nilsen, den er bereits eingeweiht hatte, befestigte eine Karte der Antarktis am Hauptmast. Dann begann Amundsen zu reden: »Es gibt viele Dinge, die ihr misstrauisch oder erstaunt beobachtet habt, die Observationshütte oder die Hunde; doch darüber will ich jetzt nicht sprechen. Was ich sagen will, ist dies: Ich habe die Absicht, nach Süden zu fahren, eine Landungsgruppe auf dem südlichen Kontinent abzusetzen und zu versuchen, den Südpol zu erreichen.« Auf der Fram war es totenstill. Dann fuhr Amundsen fort. Natürlich werde man am ursprünglichen Plan festhalten; es handle sich lediglich um eine »Ergänzung« der eigentlichen Reise. Wenn man ohnehin schon einmal um Kap Hoorn herumsegle, könnte man diese Angelegenheit doch gleich mit erledigen. Im Übrigen ginge es jetzt darum, die Engländer zu schlagen. Die Männer waren überrumpelt und schrien Hurra. Keiner nahm das Angebot Amundsens an, von Bord zu gehen. Erst später, als sie wieder zum Nachdenken kamen, habe man überall an Bord gehört: »Warum hast du bloß Ja gesagt? Wenn du Nein gesagt hättest, hätte ich es auch getan«, erinnerte sich einer der Männer im Nachhinein. Doch dafür war es jetzt zu spät. Eine Stunde nach der denkwürdigen Rede war Amundsens Bruder Leon von Bord gegangen und hatte die letzten Briefe in die Heimat mitgenommen. Wenig später lichtete die Fram die Anker und machte sich auf die weite Reise nach Süden, 14 000 Seemeilen – mehr als 25 000 Kilometer – ohne Halt bis zur Antarktis.
Abb 45
»Ich bin kein Schwindler«: In Funchal auf Madeira, wo die Fram vor ihrer langen Reise nach Süden noch einmal den Proviant ergänzte, übergab Amundsen seinem Bruder Leon ein Schreiben an den norwegischen König und Fridtjof Nansen, in denen er sein Abweichen vom ursprünglichen Plan, der Expedition ins Nordpolarmeer, zu rechtfertigen suchte. In dem Brief an Nansen (oben) versprach er, nach Beendigung der »Extratour« die Forschungsreise nach Norden umgehend wieder aufzunehmen.
Leon Amundsen hatte von seinem Bruder auch Schreiben an den norwegischen König und an Fridtjof Nansen erhalten, die Roald zuvor verfasst hatte. Beide sollten erst Anfang Oktober die Adressaten erreichen, wenn sichergestellt war, dass sich die Fram so weit auf dem Ozean befand, dass sie niemand mehr zurückrufen konnte; dann sollte auch die Presse informiert werden. Den Brief an Nansen begann Amundsen mit einem Verweis auf den Fall des Nordpols, der seinen eigentlichen Plänen den Todesstoß versetzt hätte. Weil er nun um die finanzielle Unterstützung seines Projekts habe bangen müssen, habe etwas Besonderes das Interesse der Öffentlichkeit wecken müssen – das Erreichen des Südpols. Wenn dies gelänge, so die auf ziemlich wackligen Füßen stehende Argumentation Amundsens, dann würden sicherlich genug Mittel bereitgestellt werden für die ursprünglich geplante
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