Der Widersacher
nicht. Du bist einfach mit allem einverstanden.«
»Ganz wie du meinst, Harry.«
»Ja. Ganz wie ich meine.«
Weiteren Gesprächsbedarf gab es nicht. Sie fuhren schweigend im Lift nach oben, und als sie das OCP betraten, wurden sie sofort in ein Konferenzzimmer gelotst, in dem der Polizeichef wartete. So schnell hatte Bosch bisher noch nie eine Audienz bei jemandem von der Polizeiführung bekommen, geschweige denn beim Polizeichef persönlich.
Das Konferenzzimmer sah aus, als gehörte es zu einer Anwaltskanzlei in Downtown. Langer Edelholztisch, Panoramafenster mit Blick über das Civic Center. Am Kopfende des Tischs saß der Polizeichef und rechts neben ihm Kiz Rider. Drei Plätze auf einer der Längsseiten des Tischs hatten Stadtrat Irvin Irving und zwei Angehörige seines Stabs eingenommen. Bosch kannte die beiden Männer zwar nicht, erinnerte sich aber daran, dass sie am Montagmorgen vor dem Chateau Marmont im Dienstwagen des Stadtrats gewartet hatten.
Ihnen gegenüber, mit dem Rücken zum Fenster, saß Lieutenant Duvall. Sie winkte Bosch und Chu auf die Plätze neben sich. Acht Personen in einer Besprechung über einen Selbstmord, stellte Bosch fest. Und im ganzen Haus nicht ein Mensch, der sich einen Dreck darum scherte, dass Lily Price zwanzig Jahre tot war und Chilton Hardy genauso lang auf freiem Fuß.
Als Erster ergriff der Chief das Wort.
»Also schön, dann wären wir jetzt vollzählig. Sicher hat jeder die heutige
Times
gesehen oder die Meldung online gelesen. Ich glaube, alle sind ein wenig überrascht über die Wendung, die dieser Fall genommen hat, und …«
»Mehr als überrascht«, platzte Irving dazwischen. »Ich möchte wissen, weshalb die verdammte
L.A. Times
diese Information vor mir hatte. Und vor der Familie meines Sohns.«
Zur Unterstreichung seiner Entrüstung stach er mit dem Finger auf den Tisch ein. Zum Glück saß Bosch auf einem Drehstuhl. Das ermöglichte ihm, der Reihe nach in die Gesichter auf der gegenüberliegenden Seite und am Kopfende des Tischs zu blicken. Er entgegnete nichts, sondern wartete auf eine Aufforderung, etwas zu sagen. Die zu erteilen stand jedoch nicht Irvin Irving zu, sosehr der Stadtrat auch mit seinem Wurstfinger auf den Tisch einstieß.
»Detective Bosch«, sagte der Chief schließlich. »Sagen Sie uns, was Sie darüber wissen.«
Bosch nickte und drehte sich so, dass er Irving direkt ansah.
»Zuallererst, über diese Zeitungsmeldung weiß ich nichts. Sie kommt nicht von mir, aber sie überrascht mich nicht. Dieses Ermittlungsverfahren leckt schon seit dem ersten Tag wie ein Sieb. Ob die undichte Stelle im Büro des Polizeichefs, beim Stadtrat oder in der RHD zu suchen ist, spielt dabei keine Rolle. Die Meldung ist raus, und sie ist zutreffend. Und ich möchte etwas richtigstellen, was der Stadtrat gesagt hat. Die nächsten Familienangehörigen des Verstorbenen wurden über unseren Ermittlungsbefund in Kenntnis gesetzt. Die Information, die maßgeblich dazu beigetragen hat, dass mein Partner und ich den Tod als Selbstmord eingestuft haben, stammt sogar von der Frau des Verstorbenen selbst.«
»Von Deborah?«, sagte Irving. »Sie hat Ihnen nichts erzählt.«
»In Ihrer Anwesenheit hat sie uns nichts erzählt. Das stimmt. Aber in einem nachfolgenden Gespräch hat sie sich etwas ausführlicher über bestimmte Einzelheiten ihrer Ehe und der Tätigkeit ihres Gatten geäußert.«
Irving lehnte sich zurück und zog dabei seine geballte Faust über den Tisch.
»Erst gestern wurde mir von dieser Behörde mitgeteilt, dass es sich hier um ein Ermittlungsverfahren in einem Mordfall handelt, dass es Indizien gibt, dass auf meinen Sohn vor seinem tödlichen Sturz ein körperlicher Angriff erfolgt ist und dass darin mit großer Wahrscheinlichkeit ein ehemaliger Polizist verwickelt war. Und dann schaue ich heute Morgen in die Zeitung und lese dort etwas völlig anderes. Ich lese, dass es Selbstmord war. Wissen Sie, was das ist? Das ist eine Vergeltungsaktion. In Verbindung mit dem Versuch, einen Polizisten zu decken. Deshalb werde ich im Stadtrat in aller Form eine unabhängige Untersuchung Ihrer sogenannten Ermittlungen beantragen. Des Weiteren werde ich den District Attorney – wer immer das nach den Wahlen nächsten Monat sein wird – ersuchen, den Fall und seine Bearbeitung zu untersuchen.«
»Irv«, sagte der Chief. »Sie haben selbst darum gebeten, Detective Bosch mit dem Fall zu betrauen. Sie haben gesagt, wir sollen völlig unvoreingenommen an die
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