Der Widersacher
würde. Aber es war nicht Chu.
»Hannah, ich arbeite gerade.«
»Ach so, ich hätte nur gern mit dir geredet.«
»Ich bin zwar gerade allein und habe ein paar Minuten Zeit, aber wie gesagt, ich bin bei der Arbeit.«
»Bist du an einem Tatort?«
»Nein, bei einer Vernehmung – könnte man jedenfalls sagen. Was gibt’s, Hannah?«
»Also, zwei Dinge. Gibt es irgendwas Neues zum Fall Clayton Pell? Clayton löchert mich jedes Mal mit Fragen, wenn ich ihn sehe. Ich würde ihm gern was erzählen können.«
»Leider gibt es da aber noch nichts. Wir haben das Ganze mehr oder weniger auf Eis gelegt, weil ich zu sehr mit dieser anderen Sache beschäftig war. Aber die steht inzwischen kurz vor dem Abschluss, so dass ich mich in Kürze wieder ganz auf den Fall Pell konzentrieren kann. Du kannst Clayton ja schon mal sagen, dass wir Chilton Hardy finden werden. Das garantiere ich ihm.«
»Okay, das ist ja schon mal etwas, Harry.«
»Und was ist die zweite Sache, über die du sprechen wolltest?«
Er wusste, was es war, aber diejenige, die angerufen hatte, war sie. Sagen musste sie es.
»Wir … Harry, ich weiß, ich habe wegen dieser Geschichte mit meinem Sohn den Wurm bei uns reingebracht. Das tut mir leid, und ich hoffe, ich habe damit nicht alles kaputt gemacht. Ich mag dich sehr und fände es schön, wenn wir uns wiedersehen könnten.«
Bosch hielt vor seinem Haus an. Seine Tochter hatte die Verandabeleuchtung an gelassen. Er blieb im Auto sitzen.
»Hannah … um ehrlich zu sein, ich habe die ganze Zeit nichts als gearbeitet. Ich habe zwei Fälle und versuche, an beiden zu arbeiten. Warum warten wir damit nicht bis zum Wochenende oder Anfang nächster Woche? Ich melde mich dann bei dir, oder wenn du willst, kannst auch du anrufen.«
»Okay, Harry. Wir reden nächste Woche.«
»Ja, Hannah. Gute Nacht und ein schönes Wochenende.«
Bosch öffnete die Wagentür und wälzte sich fast aus dem Auto. Er war müde. Die Last des Wissens war schwer. Und er wollte nur noch in einen schwarzen Traum versinken, wo ihn nichts finden konnte.
[home]
31
A m Freitagmorgen kam Bosch spät in den Bereitschaftsraum, weil seine Tochter lang gebraucht hatte, um sich für die Schule fertig zu machen. Als er zu seinem Abteil ging, waren die anderen Mitglieder der Einheit Offen-Ungelöst bereits an ihren Plätzen. Ihm entging nicht, dass sie ihn verstohlen beobachteten, und das verriet ihm, dass die Meldung, die er David Chu an Emily Gomez-Gonzmart hatte weiterleiten lassen, am Morgen in der
Times
erschienen war. Beim Betreten seines Abteils warf Bosch einen beiläufigen Blick in Richtung Lieutenant Duvalls Büro und stellte fest, dass die Tür geschlossen war und die Jalousien unten. Entweder hatte auch sie sich verspätet, oder sie verkroch sich.
Auf Boschs Schreibtisch wartete bereits eine Ausgabe der
Times
auf ihn, eine kleine Aufmerksamkeit seines Partners.
»Hast du’s schon gesehen?«, fragte Chu von seinem Platz.
»Nein, ich habe die
Times
nicht abonniert.«
Bosch stellte seinen Aktenkoffer neben seinem Stuhl auf den Boden und setzte sich. Er musste nicht die ganze Zeitung durchblättern, um die Meldung zu finden. Sie war auf der ersten Seite, in der linken unteren Ecke. Mehr als die Überschrift brauchte er nicht zu lesen.
LAPD: Tod von Stadtrat Irvings
Sohn war Selbstmord
Ihm fiel auf, dass neben Emily Gomez-Gonzmart als Verfasser auch ein Tad Hemmings aufgeführt war, von dem Bosch noch nie etwas gehört hatte. Er wollte gerade zu lesen beginnen, als sein Schreibtischtelefon klingelte. Es war Tim Marcia, der Spieß der Einheit.
»Harry, du sollst dich mit Chu im Büro des Chiefs melden. Lieutenant Duvall ist bereits oben. Sie warten auf euch.«
»Eigentlich wollte ich vorher noch einen Kaffee trinken, aber wahrscheinlich sollten wir lieber gleich raufgehen.«
»Ja, würde ich an deiner Stelle auch tun. Viel Glück da oben. Der Stadtrat soll auch schon im Haus gesehen worden sein.«
»Danke für den Tipp.«
Bosch stand auf und wandte sich Chu zu, der gerade telefonierte. Bosch deutete an die Decke, was hieß, dass sie nach oben zum Chief mussten. Chu beendete das Telefongespräch, stand auf und nahm sein Sakko von der Stuhllehne.
»Zum Chief?«, fragte er.
»Ja. Sie warten schon auf uns.«
»Wie regeln wir das am besten?«
»Du redest so wenig wie möglich. Lass mich die Fragen beantworten. Wenn du mit irgendwas nicht einverstanden bist, lässt du es dir auf keinen Fall anmerken, und vor allem sagst du es
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