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Der Widerschein

Der Widerschein

Titel: Der Widerschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schönherr
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hatte Bros noch nie einen einzigen Schüler gehabt und an seine eigenen Lehrjahre erinnerte er sich zum Glück nur selten. Nie hatte er nur einen Gedanken daran verschwendet, was er potentiellen Schülern von seinen eigenen Fähigkeiten vermitteln hätte können, und dementsprechend hatte er – verständlicherweise – auch nicht darüber nachgedacht, was er mit Ferdinand von nun an machen sollte.
    Bros war viel zu beschäftigt, denn seit zwei Wochen quälte sich der Meister an der Arbeit für einen Grafen. Das Bild an sich war fertig, das Motiv jedoch alles andere als gelungen. Es zeigte die Tochter des Grafen, ein unansehnliches Mädchen von vierzehn Jahren, und der Graf hatte der großzügigen Anzahlung eine Bitte hinzugefügt: Bros möge dem Bild jene edlen Abrundungen verleihen, die man von seinen Bildern gewohnt sei.
    Schon während der Sitzungen mit der Grafentochter hatte Bros aber erkannt, dass sein Können hier nicht ausreichte, wenn er das Mädchen und ihren Vater nicht tief beleidigen wollte. Daher bat er darum, das Bild zur Vollendung in seine Werkstatt mitnehmen zu dürfen.
    Tage vergingen und Bros wehrte mehrere Boten des Grafen ab. Der nächste Bote war heute für Schlag zwölf angekündigt.
    Bros brauchte ein Wunder.
    * * *
    Beim Geschäft mit Hobrecht war ihm die Idee gekommen, Ferdinand das Bild fertig malen zu lassen – obwohl der Knabe ja bisher nur mit Kohle gezeichnet hatte und vom Malen mit Farbe folglich gar keine Ahnung haben konnte. Bros war dennoch von seinem Einfall mehr als begeistert gewesen.
    Als der Junge nun jedoch vor ihm saß und schwieg – da regte sich im Meister selbst etwas.
    Während Ferdinand wie befohlen am Tisch kauerte und seinen neuen Lehrherren im Profil sah – ohne das eigentliche Bild überhaupt sehen zu können –, vertiefte sich Bros derart in seine Arbeit, dass ihm bald zahllose Schweißperlen aus allen Poren traten. Hinter ihm strahlte die höher steigende Sonne durch ein Fenster auf seinen Rücken und das Bild, aber Bros kümmerte sich nicht um den strahlenden Tagesanbruch, obwohl er sonst nur bei Halblicht arbeiten konnte – grelles Licht hasste er fast ebenso wie falsche Schatten; doch denen war er hinterher, strich hier heller, da dunkler, da satter, dort zarter – es war eine Wonne, dieses Bild nun endlich aufblühen zu sehen.
    Nach drei Stunden trat Bros zurück und betrachtete zufrieden sein Werk.
    In der Nähe schlug zehnmal dumpf eine Glocke.
    Es bliebe noch ein Augenblick, murmelte Bros, um das Bild an der Luft zu trocknen – doch schon war der Gedanke in seinem Kopf verloren gegangen, er sah nur noch auf das Bild, das Bild.
    Bros stand still, seine Blicke huschten von einer Kontur zur nächsten, bereit, nachzutupfen – doch keine Braue, kein Haar zu viel, alles lag im besten Licht. Die vormals kalten Augen lagen zart neben der Nase, welcher er durch dezente Schatten ihre Wulstigkeit genommen hatte. Ebenso die Wangenknochen, die er leicht gesenkt, so den Mund geschmälert und der grinsenden Fratze des Mädchens ein stilles Lächeln entlockt hatte. Die hochgezogenen Schultern, den verkrampften Hals und das Doppel-, nein Dreifachkinn verhüllte er unter einem rötlich schimmernden Schal, der ihren grüngelben Augen einen Anflug arabischer Mystik verlieh. Ihre fliehende Stirn bändigte er mittels eines Blumenkranzes im Haar und ihre wurstartigen Finger verdeckte er mit fein geklöppelten Spitzenhandschuhen.
    Dort half ein Schatten, da eine charmante Auslassung, hier eine Prise Phantasie – hübscher hatte die Grafentochter nie ausgesehen, und jeder, der sie auf diesem Bild erblickte, würde sie für eine der schönsten Damen der gesamten Niederlande halten.
    Ferdinand – den hatte Bros völlig vergessen.
    Lange verharrte Bros vor seinem Bild, dann erwachte er plötzlich wie aus einem Traum. Ferdinand saß da und wartete, vor sich auf dem Tisch zwei zerzeichnete Bögen.
    Zerzeichnet – anders konnte Bros es nicht nennen. Denn dass die Werke auf Papier entstanden waren, erkannte er nur noch an der Rückseite der Blätter, die Vorderseite war bis zu den Rändern geschwärzt, kaum ein Schein Papierweiß schimmerte heraus.
    Bros trat näher, ließ Pinsel und Palette sinken und sah an Ferdinand vorbei auf den Tisch und die dort liegenden Zeichnungen. Bros spürte einen nebensächlichen Verdacht in seinem Kopf aufsteigen: Wo hatte Ferdinand diese zwei Bögen Papier hergenommen?
    Zu einer Antwort kam er nicht – Bros trat noch näher an den Tisch.

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