Der Widerschein
gespitzte Federkiele und auf einem Stofffetzen ruhten sämtliche Kohlestücke, die Bros je hatte unter den Tisch fallen lassen.
Nun erinnerte er sich, sank auf einen Schemel, suchte seine Gedanken zu ordnen – kam aber nicht weit. Durch die geöffnete Haustür hörte er ein Gähnen, Rascheln und Schlurfen – Ferdinand erschien und hockte sich vor den Meister.
Bros lächelte.
Dann allerdings durchfuhr es ihn: Er sprang auf, suchte, wühlte, schimpfte, fluchte, rannte in sein Arbeitszimmer, fuhr dort fort, schrie, tobte, schmiss alles rundherum zu Boden, trampelte, brüllte aus Leibeskräften: Wo die gerollten Bilder seien!?
Als er erschöpft zurückkam, war der Junge verschwunden.
Ferdinand hatte sich in seinen Verschlag begeben und den Vorhang zugezogen.
* * *
Während Bros auf seiner Bank geschlafen hatte, war seine Frau behutsam in die Werkstatt gekommen.
Der Meister konnte es überhaupt nicht leiden, bei der Arbeit gestört zu werden; selbst seine Schlafpausen zählte er dazu und verbat es sich erst recht von seiner Frau, ihn im sensiblen Prozess des Malens mit irgendwelchen Nichtigkeiten zu behelligen. Diese Art des Arbeitens führte dazu, dass die Meisterin ihren Mann manchmal mehrere Tage lang nicht zu Gesicht bekam, obwohl er nur einen Raum von ihr entfernt arbeitete, bis er schließlich ausgehungert und müde in die Küche stürmte, beim Essen kaum ein Wort von sich gab und danach sofort schlafen ging.
Aus diesem Grund war die Meisterin an diesem Morgen äußerst überrascht, ihren Mann schlafend vor dem Haus vorzufinden und in der Werkstatt Ferdinand anzutreffen. Flüsternd stellten sie sich vor, sie fragte ihn aus und erklärte ihm dann, dass sie heute in die Nachbarstadt fahren musste, um einige Bilder zu verkaufen – das große Geld sei mit der Kunst ihres Mannes leider nicht zu holen; aber bisher habe sie noch immer gut mit den gelegentlichen Einnahmen wirtschaften können.
Schließlich machte sie sich auf den Weg, bepackt mit einer Bilderkiste und der Rolle mit den Zeichnungen, die Bros von Hobrecht zusammen mit Ferdinand erstanden hatte. Die Reise war nicht leicht: Denn ganz sicher konnte man sich nicht sein, ob die Gegend politisch gesehen noch zu den Niederlanden gehörte, und schon einmal war die Meisterin von Soldaten – wahrscheinlich preußischen – bedrängt worden, aber es war gut ausgegangen. Den sichersten Weg bot ein gewundenes Flüsschen, auf dem zwei schmale Flöße an den meisten Stellen aneinander vorbeifahren konnten. Für den Transport der schweren Bilderkiste lohnte sich das Fahrtgeld.
Die Luft vor Sonnenaufgang versprach gutes Wetter und späten Frühling; Wind kräuselte die Wellen, und die Bauern säten heute vermutlich. Die Meisterin saß mit Blick auf das Ostufer auf der Bilderkiste und ließ Zehen und Ferse übers Wasser gleiten. Ferdinands gerollte Zeichnungen lagen auf ihrem Schoß. Als sie am Morgen aufgebrochen war, hatte die pralle Rolle verschnürt auf der kleinen Bilderkiste gelegen, und die Meisterin nahm alle mit, in der Annahme, ihr Mann habe ihr zusätzlich etwas für den Verkauf herausgesucht.
Während an ihr die flache Landschaft im aufsteigenden Sonnenlicht vorbeizog, verlor sie sich in Grübeleien: Würden die Bilder genug Geld einbringen? Hatte ihr Mann ordentlich gearbeitet? Lebte der alte Kunsthändler Gerlach noch? Immerhin war der schon jenseits der fünfzig, da lauerte der Tod an jeder Ecke. Was, wenn nicht? Oder er die Bilder nicht kaufen wollte? Oder ihr nicht genug Geld bot? Immerhin gab es genug Leute, die ihn als Gauner und Betrüger bezeichneten – angeblich sei er bei früheren Geschäften schon über Leichen gegangen! Vielleicht wollte er von ihrem Mann ab sofort gar nichts mehr kaufen? Was dann? Was sollten sie essen, vor allem mit diesem Jungen? Wo kam der so plötzlich her? Reizend war er ja – warum hatten sie selbst eigentlich keine eigenen Kinder?
Und vor allem: Was hielt sie hier für eine Papierrolle in der Hand? Wieso Zeichnungen? Ihr Mann hatte doch noch nie gezeichnet!
Gedankenverloren betrachtete die Meisterin das grüne Flachland, sah von einer Kuh zur nächsten, beobachtete in der Morgensonne Angler, Holzfäller und Bauern mit ihren Mägden, Knechten und Kindern, hörte das Rauschen der Wassermühlen, fröstelte, wenn die Bäume entlang des Flussufers die Frühlingssonne verdeckten.
* * *
Es war stets die gleiche Geschichte: Dringend benötige sie Geld, die Bilder ihres Mannes seien wieder ausgezeichnet, sobald
Weitere Kostenlose Bücher